Freiheit oder Faulheit: Wie sinnvoll wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Zum Positiven, meinen die Befürworter des Bedingungslosen Grundeinkommens, das den Leuten mehr Freiheit geben und wieder Chancengleichheit herstellen soll. Derweil die Gegner fürchten, der gemeine Deutsche flüchte sich ins süße Nichtstun, Putzfrauen werfen das Handtuch und dem Krankenhaus gehen die Pfleger aus. Rainer Hoffmann zum Beispiel, der Chef der Gewerkschaften, hält das Grundeinkommen für “Irrsinn”. Für eine “Abwrackprämie für Menschen”. Der Gewerkschaftsfunktionär ist längst nicht der einzige, der das Grundeinkommen - gelinde gesagt - für eine Schnapsidee hält.
Ein ausführliches Gespräch zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen haben wir in dieser Folge Finanzfluss Exklusiv geführt:
Zugegeben: Ein bisschen unwirklich klingt das Ganze schon. Jeder Mensch - wirklich jeder - soll von seiner Geburt bis zum Tod jeden Monat vom Staat Geld bekommen. Für die meisten eine utopische Vorstellung, die schließlich auch schon Thomas Morus in seinem 1516 erschienenen Roman “Utopia” aufgegriffen hat.
Heute, 500 Jahre später, kann man nur spekulieren, was so eine Lebenssicherung mit der Gesellschaft machen würde. Der Verein “Mein Grundeinkommen” will es herausfinden und startet deswegen einen dreijährigen Feldversuch. 122 Menschen sollen das Grundeinkommen über diese Zeit erhalten - wie sie es verwenden, ist ihnen überlassen.
Nichtsdestotrotz kocht schon jetzt die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen über. Wir haben die häufigsten Argumente für und gegen das Modell einmal für euch aufgelistet.
Kritik / Bedenken:
“Uns gehen die Briefträger und Krankenpfleger aus”
Mit einem Grundeinkommen hat es doch niemand mehr nötig, einen anstrengenden und schlecht bezahlten Job anzunehmen, so eine beliebte Kritik an dem bedingungslosen Zuschuss.
“Für den Millionär sind das doch Peanuts”
Bedingungsloses Grundeinkommen, das bedeutet auch, dass jeder, wirklich jeder, die Hilfe vom Staat bekommt. Auch die, die es eigentlich gar nicht nötig haben: Großinvestoren, Unternehmer, gut gestellte Erben. So ein Gießkannenprinzip sei doch einfach unfair, monieren viele Kritiker des Modells.
“Wer soll das bezahlen?”
Die Finanzierung eines solchen Modells ist nach wie vor ungeklärt. Fest steht: Irgendwo muss das Geld herkommen. Und Grundeinkommen-Kritiker fürchten, dass am Ende genau die geschröpft werden, die die Zuschüsse besonders gebrauchen können: Nicht-Akademiker oder Zuwanderer mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, die plötzlich das Doppelte für den Supermarkt-Einkauf bezahlen müssen, weil zum Beispiel die Mehrwertsteuer angehoben wird.
“Dann arbeitet doch niemand mehr”
Es ist das wohl populärste Argument gegen das bedingungslose Grundeinkommen: Die Befürchtung, die meisten Leute würden ihren Job hinschmeißen und dem täglichen Müßiggang verfallen. Mit 1.200€ pro Monat ließe es sich schließlich ganz gut leben. Noch ungerechter, wenn das ganze Projekt über die Steuergelder jener finanziert wird, die nach wie vor arbeiten.
“100 Jahre Wohlfahrtsstaat wären dahin!”
Hartz IV, die Rente, Kindergeld oder die Pflegeversicherung: All das würde mit einem Grundeinkommen überflüssig werden, kritisieren einige Gegner. Wer die Zusatzleistungen aber braucht, weil er zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten kann, dem helfe auch das Grundeinkommen nicht mehr.
Die Argumente der Befürworter:
“Jobs werden besser bezahlt”
Dass viele Menschen keine Lust mehr auf ihren unterbezahlten Knochenjob haben, sobald sie eine Grundsicherung bekommen, halten auch die Befürworter für wahrscheinlich. Aber ist das schlecht? Aus ihrer Sicht nicht: Schließlich würde das den ein oder anderen Arbeitgeber indirekt dazu zwingen, attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen, so das Argument.
“Mehr Freiheit, mehr Selbstbewusstsein, mehr Sport”
Wer finanziell unabhängig ist, komme überhaupt erst dazu, seine Talente oder gar seine Berufung zu finden, meinen viele Befürworter. Man sei überdies mit sich selbst im Reinen, ernähre sich gesünder und treibe mehr Sport, wie einige praktische Studien gezeigt haben. Grundsätzlich führe ein bedingungsloses Einkommen also zu mehr Zufriedenheit in der Gesellschaft - ohne Existenz- und Abstiegsängste.
“Alle sitzen im selben Boot”
Auch meinen die Macher des Grundeinkommens, dass der Neid in der Gesellschaft durch einen gleichen Zuschuss für alle abnehmen würde. Bedürftigkeitsprüfungen gäbe es beim “bedingungslosen” Modell bekanntlich nicht - man würde sich also viel mehr auf Augenhöhe begegnen.
“Die Leute haben wieder Lust aufs Arbeiten”
Wer hierzulande Hartz IV bezieht, darf nebenbei so gut wie gar nicht arbeiten. Das heißt: Er dürfte schon. Allerdings werden fast 90% von den Einkünften wieder abgezogen. Bei einem Grundeinkommen aber könnte jeder so viel arbeiten, wie er möchte - und trotzdem die Grundsicherung bekommen.
“Soziale Leistungen fallen nicht weg”
Wie das bedingungslose Grundeinkommen finanziert werden sollte, steht nach wie vor in den Sternen. Tatsächlich kommen verschiedene Möglichkeiten infrage: Das Einkommen könnte höher besteuert werden, vielleicht aber auch Lebensmittel, Konsumgüter oder natürliche Ressourcen. Eine Transaktionssteuer käme auch in Betracht - oder man lässt die Reichsten der Gesellschaft mehr von ihrem Einkommen abgeben. Dass jegliche bisher geltende Sozialleistungen gestrichen würden, lehnt zum Beispiel der Verein “Mein Grundeinkommen” ab. “Solche Denkansätze missbrauchen die Idee des Grundeinkommens”, schreibt die Initiative auf ihrer Website.
“Mehr Mut zur Innovation”
Eine Grundsicherung ohne Gegenleistung mache die Leute freier und unabhängiger, so die Verfechter der Maßnahme. Und das wiederum könnte auch den Unternehmergeist wecken: Wer finanziell abgesichert ist, wagt eher den Sprung in die Selbstständigkeit - ohne dabei alles aufs Spiel setzen zu müssen.
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Kommentare (6)
A
Abc
sagt am 13. September 2020
Inflation gibt es nur wenn mehr Geld im Umlauf ist. Durch ein bedingungsloses Grundeinkommen wird nicht mehr Geld gedruckt. Das Geld wird im optimalen Fall nur umverteilt. Das feuert die Wirtschaft nur ein weil die MPC bei Geringverdiern höher ist. Welche Auswirkungen es tatsächlich in der Praxis hat, kann man ohne empirische Erkenntnisse nicht wissen.
P
Peter
sagt am 01. September 2020
Ich sehe die Diskussion als angebracht. Bedenkt man, (ich kenne allerdings keine Berechnung) wie viel alleine der Pensions- oder Rentenapparat kostet, oder die ganzen Bürokratischen Aufwendungen für Hatz IV usw. wird der Kostenaufwand relativiert. Allerdings müsste hier ein einmaliger scharfer Schnitt gemacht werden. Dass die Preise steigen kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Warum auch. Der Wettbewerb bleibt gleich.Arbeit lohnt sich plötzlich wieder. Und wenn sich jemand auf die faule Haut legt, dann tut derjenige das sowieso.
L
Luis Lohse
sagt am 28. August 2020
Vermutlich schon, viele Vertretern des Grundeinkommens sind dafür Unternehmensteuern abzuschaffen und als Konsumsteuer wiederaufzunehmen, dies würde unsere Exportgüter sogar attraktiver machen, da die Unternehmenssteuern im Endeffekt auf den Verkaufspreis abgewälzt werden.
R
Rémy Lefevre
sagt am 28. August 2020
Und wenn die Preise steigen, sind wir in der internationalen Marktwirtschaft gar nicht mehr kompetitiv…
G
Georg Seebode
sagt am 28. August 2020
2016 in der Schweiz gab es mal ein ähnlichen Anlauf – rund 2220€ (2500chf) sollte jeder Erwachsene bekommen. 78% der Wähler hatten aber damals dagegen gestimmt, unteranderem weil (ich denke) genau das auch ein Teil der Diskussion war – mit einem Grundeinkommen würden auch die Nettopreise steigen
C
Christoph Hammer
sagt am 28. August 2020
Denkt eigentlich keiner daran, dass in einer freien Marktwirtschaft vermutlich die Preise auf beinahe alles im selben Ausmaß nach oben gehen würden? Wenn jeder mehr hat, kann ich auch mehr für meine Produkte/Mietobjekte/Dienstleistungen verlangen. Am Ende bleibt die Situation die selbe, nur auf einem höheren Preisniveau. Oder gibt es gute Gründe warum das nicht so sein sollte? Ich sehe sie nämlich nicht.
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