Bitcoin Country: Stimmen aus dem Kryptoland El Salvador
“Für mich ist Bitcoin kein Experiment”
San Salvador, die Hauptstadt El Salvadors. Unter einer Plastikplane stehen Grüppchen von Männern vor blauen Kühlboxen und unterhalten sich, lachen, während sie auf den Bus warten. Wir sprechen drei irreguläre Arbeiter auf die Einführung des Bitcoins an und erfahren mehr über die praktischen Vorteile der neuen Währung.
Javier*: Die Leute hier sind die, die am meisten Geld in diesem Land bewegen. Aber wir haben weder Sozialversicherung noch feste Arbeit. Ich sehe Bitcoin als gute Möglichkeit, dass Leute aus dem Ausland Geld nach El Salvador schicken, ohne hohe Gebühren zahlen zu müssen. Die Banken leihen uns nämlich kein Geld.
Finanzfluss: Ist es einfacher für euch, mit Bitcoin an US-Dollar zu kommen?
Javier: Ja genau. Ich kann einfach über meine Chivo-Wallet Geld abheben, das ist sehr einfach. Auch wenn mir Geld aus dem Ausland geschickt wird, kann ich meiner Familie einfach meine Wallet-Nummer geben und bekomme dann Geld dorthin. Sie schicken mir 100 US-Dollar und ich erhalte diese direkt in meiner Wallet. Da gibt es keine Gebühren. Western Union verlangt beispielsweise 20% Gebühren.
Finanzfluss: Was denkst du passiert in den nächsten fünf Jahren? Wird es ein erfolgreiches Experiment?
Javier: Für mich ist es kein Experiment: Für mich ist es eine positive Entwicklung, denn wir bekommen viel Geld aus dem Ausland zugeschickt.
Finanzfluss: Klar, die 20 US-Dollar fehlen nicht mehr. Du hast 20 US-Dollar mehr.
Javier: Ja, das ist unglaublich gut. Hier ist das viel Geld.
Finanzfluss: Hast du Chivo?
Cesar*: Ja. Aber ein Problem hier ist, dass viele Leute zwar die App haben, die Technologie dahinter aber nicht verstehen. Das heißt, viele Leute können ausgetrickst werden. Wenn du einen Account eröffnest, bekommst du 30 US-Dollar Guthaben von der Regierung. Sagen wir jetzt aber, dass ich dir helfe, ein Konto zu eröffnen. Ich lasse dich dafür 20 US-Dollar bezahlen. Dann bleiben dir gerade noch 10! Andere nutzen die App nur, um sich ihre 30 US-Dollar abzuholen und danach nie wieder. Das fehlt hier noch: das Verständnis für den Hintergrund, das Potenzial, das Bitcoin für uns hat und welche Möglichkeiten uns hier geboten werden.
“Es ist eine Illusion”
San Salvador. Manuel trägt ein tarnfarbenes Hemd und eine dazu passende Hose. Er steht in dem kleinen Restaurant, das er besitzt, an den Wänden Drucke von bunten Malereien. Er sieht den Bitcoin vor allem als große Chance an – deutlich kritischer äußert sich sein Bruder Enrique*, den wir etwas später im selben Restaurant sprechen. Er unterstreicht vor allem die Gefahr steigender sozialer Ungerechtigkeit.
Manuel: Bitcoin ist die Währung der Zukunft, für unsere Kinder und Enkelkinder. Für diese ist es auch einfacher, Smartphone und Chivo zu nutzen. Ich habe damit schon manchmal noch Probleme und muss um Hilfe fragen.
Finanzfluss: Was denkst du, wo wir in fünf Jahren stehen werden?
Manuel: All die jungen Menschen werden Chivo benutzen. Wir Alten haben damals schon gelernt, in Dollar umzurechnen, warum sollten wir dann nicht auch lernen, mit diesem neuen Geld umzugehen? Wir müssen das Geld bewegen und ausgeben.
Finanzfluss: Benutzen deine Kinder Chivo?
Manuel: Ja, sehr viel, alle von ihnen. Sie kaufen morgens und verkaufen später, und machen dadurch auch Geld.
Finanzfluss: Trading, richtig?
Manuel: Ja, genau. Wer weiß, wie man damit umgeht, kann Geld machen. Wer keine Ahnung hat, verliert. Das ist wirtschaftliche Macht.
Finanzfluss: Kann die Bitcoin-Technologie die Welt verändern?
Enrique*: Ja, aber zum Besseren? Oder zum Schlechteren? Es ist bisher nur ein Experiment. Ein Gedankenexperiment: Du hast eine Million US-Dollar und tauschst diese in Kryptowährungen um. Dann wirst du gehackt – du verlierst alles. Was machst du dann? Der Präsident wird dir nicht helfen. Die Millionäre brauchen uns, die Armen, damit die Kryptowährungen weiter im Kurswert ansteigen.
Finanzfluss: Ist das nicht in jedem Markt so?
Enrique: Klar, aber wer gewinnt wirklich? Wir sicherlich nicht. Es ist ein bisschen wie Glücksspiel. Reiche Leute können sich Leute leisten, die sie dafür bezahlen, ihr Vermögen in Krypto zu verwalten und es herauszunehmen, wenn die Kurse sinken. Ich kann das nicht. Es ist also eine Illusion, ein Zaubertrick.
“Systemwandel”
Im Südosten der Hauptstadt befindet sich der vulkanische See Laguna de Alegria mit seinem türkisgrünen Wasser, eingebettet in die Berglandschaft des Tecapa-Vulkans. David sitzt im Schneidersitz unter Bäumen, während er uns von seinen Erfahrungen mit der neuen Landeswährung und Technologie erzählt.
Finanzfluss: Benutzt du Bitcoin und die Wallet Chivo?
David: Seit dem Moment, in dem die Regierung die Chivo App offiziell eingeführt hat, haben wir als Salvadoreños begonnen, uns mehr mit dem Thema Bitcoin auseinanderzusetzen: wie funktioniert das genau, was sind die Vorteile? Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich die App im Moment noch nicht nutze, da ich technische Probleme hatte. Aber viele meiner Freunde nutzen sie schon. Sie erzählen mir, dass es momentan noch nicht viele Orte gibt, an denen man auch mit Bitcoin zahlen kann. Aber es werden wohl immer mehr, je mehr wir über das Thema und die Vorteile, die die Zahlung mit Bitcoin für El Salvador mit sich bringt, lernen. Ich hoffe deshalb, dass wir in einigen Monaten keine technischen Probleme mehr haben und die Technologie besser verstehen.
Finanzfluss: Nutzen deine Familienmitglieder bereits die App?
David: Ja, und sie meinten, dass es eine interessante Erfahrung sei.
Finanzfluss: Was meinst du damit?
David: Mein Schwager verwendet beispielsweise die App. Er nutzt sein Handy viel, um den Kurs von Bitcoin zu verfolgen und sagt mir dann immer, wenn der Kurs gerade steigt oder sinkt.
Finanzfluss: Ah, Trading!
David: Genau. Wie gesagt, ich persönlich habe die App noch nicht. Trotzdem interessiert sie mich. Ich glaube, Bitcoin könnte unser Land fortschrittlicher machen.
Finanzfluss: Hast du Familie in den USA oder einem anderen Land? Schicken sie dir Geld mit Moneygram oder Bitcoin, oder wie funktioniert das?
David: Ja, ich habe Familie in den USA. Wenn sie Geld schicken, dann beispielsweise mit Wells Fargo oder Moneygram. Das ist unglaublich teuer, weil unabhängig von der Summe, die gesendet werden soll, stets 15-20 US-Dollar Gebühren anfallen. Außerdem kann es ein bisschen anstrengend werden – man muss sich bei den Banken hier lange anstellen, um an das Geld zu kommen. Manchmal ist auch der Name falsch geschrieben, dann wollen einem die Banken das nicht auszahlen. Für die von uns, die Geld von Familienmitglieder geschickt bekommen, kann Chivo deshalb eine große Hilfe sein.
Finanzfluss: Gibt es auch Kritiker in deinem Umfeld? Was sind deren Gründe?
David: Klar, es gibt auch viele Kritiker in meinem Umfeld. In El Salvador sind wir noch nicht so weit mit dem technischen Fortschritt. Zum Beispiel ältere Menschen haben kaum Erfahrung mit der Nutzung von Smartphones. Sie verstehen Apps nicht ganz und es macht ihnen Angst, ihr Geld in einer App zu speichern. Sie geben da Kontrolle ab, es ist nicht mehr nur ihr Geld. Sie haben Angst, ihr Geld zu verlieren. Dennoch gibt es viele Leute, die dazulernen wollen und sich mehr mit dem Thema auseinandersetzen.
Finanzfluss: Findest du es grundsätzlich gut, dass der Präsident Bitcoin eingeführt hat?
David: Ich empfinde das als sehr positiv. Es öffnet uns den Weg zu einem kompletten Systemwandel. Es ist ein Fortschritt für das ganze Land, für alle von uns.
“Für uns Junge ist das super”
Im malerischen Suchitoto, einem kleinen Städtchen nordöstlich der Hauptstadt San Salvador. Wir kommen mit dem Friseur Ernesto ins Gespräch, einem jungen Mann, während im Hintergrund Salsa-Musik läuft. Ernesto ist von der neuen Währung überzeugt.
Finanzfluss: Nutzt du Bitcoin? Was denkst du darüber?
Ernesto: Ich nutze die App erst seit Kurzem. Ich habe 30 Dollar, mit denen ich in der App “spiele”. Ich aber zahle zum Beispiel mein Benzin mit der App, weil ich da einen Rabatt bekomme. Daher ist es sehr vorteilhaft für mich.
Finanzfluss: Du bist also zufrieden mit deiner Situation, was Bitcoin angeht?
Ernesto: Ja, für uns junge Leute ist das super.
Finanzfluss: Ist es für die Älteren komplizierter?
Ernesto: Ja, auf jeden Fall. Deswegen ist das Land eher geteilter Meinung, was Chivo und das Zahlen mit Bitcoin angeht. Für jüngere Leute ist es etwas einfacher, sich an die Apps zu gewöhnen und zu verstehen, was da so vor sich geht.
Finanzfluss: Wo siehst du das Ganze in fünf Jahren?
Ernesto: Es kommt ein bisschen darauf an, wofür wir das Ganze benutzen. Bitcoin muss in weiteren Gesellschaftsschichten angenommen werden.
“Ich bevorzuge Cash”
Ebenfalls in Suchitoto treffen wir auf eine Kunsthandwerksverkäuferin, die an ihrem eigenen Stand auf der Straße bedruckte T-Shirts mit Floralmuster, Ketten mit farbigen Steinen und kleine Bilder mit religiösen Motiven anbietet. Sie ist noch skeptisch, was die Einführung der Kryptotechnologie in ihrem Alltag angeht und befürchtet, dass Bitcoin den US-Dollar ganz ablösen könnte.
Finanzfluss: Was hältst du von der Bitcoin-Technologie?
Verkäuferin: Für junge Menschen ist sie gut, weil man ganz einfach das Handy benutzen kann, aber für alte Menschen kann es zum Problem werden. Ich persönlich bin auch kein Mensch, der sein Handy häufig benutzt.
Finanzfluss: Möchtest du denn in Zukunft mehr Bitcoinzahlungen annehmen?
Verkäuferin: Nein, eher nicht.
Finanzfluss: Meinst du denn, es wird irgendwann einfacher für dich, Bitcoin anzunehmen, wenn mehr los ist – wenn die Pandemie vorüber ist?
Verkäuferin: Das Gute ist, dass es zwei Möglichkeiten gibt, um zu bezahlen (nämlich US-Dollar und Bitcoin). Aber ich bevorzuge Cash.
“Chivo ist ein Zukunftsprojekt”
Die Gemeinde Tamanique im Südwesten der Hauptstadt ist vor allem für ihre beeindruckenden Wasserfälle bekannt. Seit der Einführung des Bitcoin als Währung verbreitet diese sich natürlich auch hier. Wir reden mit einem Verkäufer vor seiner grün gestrichenen Verkaufshütte, in der Slushies, Eiskaffees und Speiseeis über die Theke gehen. Er nutzt die Chivo-App nur für Transaktionen mit US-Dollars, begreift den Bitcoin aber als Chance.
Finanzfluss: Benutzt du die Chivo-Wallet?
Eisverkäufer: Ja, ich habe die Chivo Wallet. Es ist eine schöne Erfahrung. Man muss sich daran gewöhnen, aber dann ist es sehr praktisch: Es ist wirklich wie ein Geldbeutel. Du hast dort dein Geld, in Dollar und/oder Bitcoin, wie du möchtest. Bei Bitcoin kannst du schauen, ob du Geld gewinnst. Wenn die Wirtschaft wächst und steigt, tut das auch der Bitcoin. Das heißt, du machst Geld, und kannst dir diesen Gewinn dann in Dollar umtauschen. Du verlierst kein Geld, sondern, im Gegenteil, du gewinnst noch. Außerdem ist es interessant, die Kursverläufe zu sehen.
Finanzfluss: Ja, vor drei Monaten stand der Bitcoin bei 30.000 Dollar, heute bei 60.000.
Eisverkäufer: Aber natürlich ist das Ganze sehr volatil. In wenigen Sekunden kann der Bitcoin sinken oder steigen. Wir haben nicht so viel Geld. Es ist aber trotzdem gut, wenn jemand mit Bitcoin zahlen möchte. Die Person kann das dann tun, obwohl ich hier nur Dollar annehme – die Umrechnung geschieht direkt in der App. Genauso machen es viele andere Menschen auch, die kleine Unternehmen führen.
Finanzfluss: Du bist also in den Bitcoin investiert?
Eisverkäufer: Nein, ich habe nichts.
Finanzfluss: Auch nicht die 30 US-Dollar der Regierung?
Eisverkäufer: Schon, aber in der Praxis nutze ich das nur zum Einkaufen für meinen Eisstand. Ich nutze die App aber nicht so gerne, weil es einige technische Komplikationen gibt. Manchmal wird die Transaktion einfach nicht ausgeführt. Manchmal kostet die Transaktion doch etwas oder es gibt lange Ladezeiten.
Finanzfluss: Was denkst du? Ist Bitcoin auch für arme Menschen von Vorteil?
Eisverkäufer: Ich persönlich glaube das nicht, nein. Wir haben kein Geld zum Investieren übrig. Die Personen, die Geld zum Investieren haben, können damit spielen und deshalb auch gewinnen. Für mich ist die Wallet wie ein zweiter Geldbeutel.
Eisverkäufer: Nutzen Menschen in deiner Familie bereits Chivo?
Finanzfluss: Ja, fast alle verwenden die Wallet. Aber bisher hat sie nur wenig Nutzen. Nur wenige Orte hier in der Gegend akzeptieren die Zahlung mit der Wallet.
Finanzfluss: Werden in Zukunft mehr Menschen Bitcoin/Chivo annehmen?
Eisverkäufer: Ja, bestimmt. Chivo ist ein Zukunftsprojekt. Bisher haben viele Menschen einfach noch keine Smartphones oder haben Schwierigkeiten, damit umzugehen. Gerade auch ältere Menschen. In der nächsten Generation wird das sicher schon anders aussehen.
* = Name geändert.
🤝
Kommentare (2)
Thomas Kehl
Autor
sagt am 10. Dezember 2021
Hat großen Spaß gemacht die Interviews zu führen. Bald publizieren wir auch unsere Dokumentation dazu auf YouTube :)
A
Angel
sagt am 10. Dezember 2021
Super Beitrag! Zum Einen finde ich die Idee bahnbrechend, in das Land zu gehen, welches den Bitcoin als Zahlungsmittel eingeführt hat. Zum Anderen ist es sehr aufschlussreich zu sehen, wie einfache Menschen in anderen Ländern mit Volatilität in den Märkten im Allgemeinen umgehen. Weiter so und vielen Dank!
Kommentar schreiben