Krypto-Milliarden: Ruiniert Sachsen den Bitcoin-Kurs?
Es passiert nicht oft, dass deutsche Behördenangelegenheiten in der internationalen Presse besprochen werden. Doch manchmal eben schon. Gerade schaffte es zum Beispiel das sächsische Landeskriminalamt in die New York Times. Der Grund: Die Behörde ist seit Kurzem im Besitz von 50.000 Bitcoin und damit einer der größten sogenannten Bitcoin-Wale. So nennen Brancheninsider jene Krypto-Investoren, die so viele der digitalen Coins besitzen, dass sie mit einem einzigen Verkauf den Kurs bewegen könnten. Dass sozusagen ein einziger Flossenschlag genügt, um die gesamte See ins Beben zu bringen. Vor einem solchen Flossenschlag fürchtet sich im Augenblick so mancher. Denn glaubt man Medienberichten, sind die sächsischen Behörden gerade dabei, ihre Coins zu verscherbeln: „Heftige Verluste: Sachsen befeuern Bitcoin-Absturz“, titelte etwa das Nachrichtenmagazin ntv am Dienstag, vom „Sachsenschatz-Crash“ schreibt die Tageszeitung „Die Welt“. Doch ist der Freistaat wirklich Schuld am jüngsten Kursrutsch der Kryptowährung? Und wie kommt das Bundesland überhaupt zu den digitalen Münzen?
Erlöse aus Streaming-Website
Um das zu verstehen, muss man etwa 15 Jahre zurückspringen, in die späten 2000er. Damals boomen illegale Streamingportale, auf denen Nutzer illegal Filme ansehen können. Einer dieser Anbieter nennt sich „Movie2k.to“ und wird mutmaßlich von einem Berliner Immobilienhändler und einem polnischen Programmierer betrieben. An die 900.000 Filme sollen bis zur Stilllegung der Website im Jahr 2013 dort illegal abrufbar gewesen sein. Die Erlöse – sie stammten hauptsächlich aus Werbeanzeigen für Glücksspiele oder pornografische Websites – steckten die Gründer zum Teil in Immobilien, einen Teil aber auch in Bitcoin – jene zu damaliger Zeit kaum bekannte und vor allem unterschätzte Kryptowährung. Um die 100 USD kostete ein einzelner Bitcoin im Jahr 2013. Heute müssen Käufer mehr als 55.000 USD für einen Anteil hinlegen und damit fast 500-mal so viel.
Sächsische Bitcoin sind aktuell 3 Mrd. € wert
Im Januar 2024 nun, die Ermittlungen liefen zu diesem Zeitpunkt bereits seit fünf Jahren, sollte die Festnahme der Website-Betreiber dem Freistaat Sachsen einen Geldsegen bescheren. Laut Medienberichten erklärte sich einer der Beschuldigten bereit, den Ermittlern knapp 50.000 Bitcoin zu überlassen. Ob es sich dabei um ein Tauschgeschäft der Art „Geld gegen Freiheit“ handelt, ist unklar. Sicher ist dagegen: Der Freistaat Sachsen wurde über Nacht zum Krypto-Milliardär. Die 50.000 Bitcoin waren zu Beginn des Jahres bei einem Kurs von 40.000€ bereits knapp 2 Mrd. € wert. Mittlerweile liegt der Kurs bei rund 55.000 €, was einem Vermögen von rund 3 Mrd. € entspricht. Eine hübsche Summe, die das Bundesland sicher gut für seinen Haushalt gebrauchen könnte. Doch dafür müssten die Bitcoin zunächst verkauft und auf diese Weise in Fiatgeld umgetauscht werden. Genau das passiert angeblich seit einigen Tagen.
„Deutsche Regierung verkauft bis zu $155M BTC“
Das jedenfalls legen seit einigen Tagen Meldungen der Analyseplattform Arkham Intelligence nahe. Deren Geschäftsmodell besteht darin, anonyme Krypto-Transaktionen zu verfolgen und transparent zu machen. Und seit Kurzem gehören dazu auch die Aktionen der sächsischen Behörden. „Deutsche Regierung verkauft bis zu $155M BTC“, schrieb Arkham am Montag auf dem Netzwerk X, wo die Plattform ihre neuesten Rechercheergebnisse teilt. Arkham verweist dabei auf eine Bitcoin-Adresse, die sie den sächsischen Behörden zuordnet. Es ist nur einer von rund einem Dutzend Posts, die Arkham in den vergangenen Tagen zu dem Fall absetzte, doch einer der bedeutendsten. Denn: Die Überschrift suggeriert, dass das sächsische LKA gerade im Begriff ist, seine Krypto-Anteile zu verkaufen – doch kann man darüber zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren. Arkham selbst erklärt ein paar Zeilen weiter, die deutsche Regierung habe „Bitcoin im Wert von rund 155 Mio. USD an Börsen oder Market-Maker gesendet“. Dass sie von dort aus verkauft werden sollen, ist denkbar, doch nicht bewiesen.
Ist Sachsen wirklich Schuld am sinkenden Kurs?
Die Plattform gibt außerdem Einsicht in den BTC-Bestand der sächsischen Behörden. Dem Portal zufolge belief sich dieser am Dienstag nur noch auf 22.000 BTC und am Mittwochnachmittag auf 13.000. Das klingt, als hätte Sachsen bereits mehr als die Hälfte seiner Bitcoin verscherbelt, und für viele mag das plausibel klingen. Schließlich sackte der Kurs in den vergangenen Wochen leicht ab, seit Anfang Juni verlor er um beinahe 16%. Könnten nicht die sächsischen Verkäufe dafür verantwortlich sein? Möglich ist das schon, aber eben nicht bewiesen. In Wahrheit zeigt die Zahl nur, wie viel Bitcoin bislang von den Behörden auf Kryptobörsen transferiert wurden.
Medien aus aller Welt hindert das nicht daran, von den angeblichen Verkäufen als Tatsache zu sprechen. Ebenso tun das Kritiker der angeblichen Aktion, etwa die Bundestagsabgeordnete Joana Cotar. Während in den USA bereits debattiert werde, Bitcoin als strategische Reservewährung zu halten, „verkauft unsere Regierung im großen Stil“, schrieb die ehemalige AfD-Politikerin im Netzwerk X.
Generalstaatsanwaltschaft hält sich bedeckt
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden betont dagegen, dass man noch gar nicht entschieden habe, was überhaupt mit dem Krypto-Vermögen passieren soll. „Das Verfahren zum Umgang mit den sichergestellten Bitcoins ist noch nicht abgeschlossen“, erklärt ein Sprecher auf Anfrage von Finanzfluss. Man könne deswegen „derzeit keine weiteren Auskünfte hierzu erteilen“.
Denkbar wäre also, dass viel mehr ängstliche Marktteilnehmer, die eben jene Verkäufe befürchteten, den Kurs ins Wanken brachten. Schließlich geht es auch am Kryptomarkt – genau wie am Aktienmarkt – vor allem um Erwartungen. So genügen oft schon Mutmaßungen, damit Investoren ihre Anteile auf den Markt werfen und der Kurs sinkt.
Noch ein Ereignis könnte in den vergangenen Tagen den Kurs gedrückt haben: die Auszahlung ehemaliger Mt. Gox-Kunden oder besser gesagt: die Erwartung, dass es damit bald losgehen könnte. Seit der Pleite der japanischen Kryptobörse 2014 warten Geschädigte auf diesen Moment, nun könnte er bald eintreten. Ende Juni verkündete die Kryptobörse, die Treuhänder seien dabei, die Rückzahlungen vorzubereiten. Insgesamt soll es Medienberichten zufolge um mehr als 140.000 Bitcoin gehen. Sollte es kommen, wie viele Beobachter momentan befürchten, und sollten die Entschädigten ihre zurück erhaltenen Bitcoin direkt verkaufen, würde der Bitcoin-Kurs automatisch sinken. So könnte also auch all die Erwartung eines solchen Szenarios schon jetzt den BTC-Kurs belasten.
Üblich sind Auktionen
Doch gehen wir für einen Moment davon aus, dass der sächsische Freistaat gerade tatsächlich 50.000 Bitcoin an verschiedenen Börsen feil bietet. Was soll man davon halten? Nun, etwas ungewöhnlich wäre es schon. Üblicherweise werden beschlagnahmte Kryptowährungen versteigert, so war es jedenfalls in der Vergangenheit. Etwa 2019, nachdem die britische Metropolitan Police nach Aufklärung eines Hackerangriffs Bitcoin im Wert von rund einer halben Million Euro konfisziert hatte. Oder 2021, als die nordrhein-westfälischen Justizbehörden 215 digitale Coins aus einem Drogengeschäft im Darknet beschlagnahmte. Die damalige Bitcoin-Auktion hatte der nordrhein-westfälischen Regierung mehr als 10 Mio. € in die Haushaltskasse gespült.
Der sächsische Bitcoin-Erlös dürfte fast 300-mal so hoch sein und käme dem Freistaat nicht ungelegen. Seit Mai gilt in Sachsen eine Haushaltssperre: Wegen fehlender Steuereinnahmen verordnete das Finanzministerium der Landesregierung drastische Einsparungen in Höhe von mehreren Millionen Euro. Mit den Bitcoin-Milliarden ließe sich der Investitionsstau alsbald auflösen. Und es gibt noch weitere Ideen, wie man sie ausgeben könnte. Dirk Panter, SPD-Fraktionschef im sächsischen Landtag, schlug auf der Plattform X eine Art Staatsfonds für das Land Sachsen vor:
Zu klären bleibt allerdings, ob die sächsischen Behörden überhaupt die gesamte Menge an Bitcoin behalten dürfen. Und ob nicht noch geprellte Filmunternehmen Ansprüche geltend machen werden, deren Inhalte damals von Movie2k raubkopiert wurden. Berichten zufolge soll beispielsweise die Münchener Gesellschaft Constantin Film als Nebenkläger gegen die Betreiber auftreten. Fraglich ist auch, ob tatsächlich der gesamte Wallet-Inhalt aus Einkünften aus illegalen Geschäften stammt. Sollte dem nicht so sein, werden die sächsischen Behörden möglicherweise ein paar Bitcoin an die mutmaßlichen Betreiber abtreten müssen.
👉
Kommentare (4)
L
Larsi
sagt am 15. Juli 2024
Ich habe jetzt nicht so ganz verstanden, warum die Sachsen die Coins zu Börsen schicken sollten, wenn Sie nicht verkauft werden sollen. Wäre doch ziemlich sinnlos und ein zusätzliches Risiko ( bei z.B. Pleite einer Börse ). Habt ihr eine Idee dazu, die ich nicht sehe?
M
Micha
sagt am 12. Juli 2024
Na in welcher Welt würden wir denn leben wenn jemand seine "Währung" tatsächlich nutzt?
J
John
sagt am 12. Juli 2024
Nur um das ganze in relation zu stellen, es handelt sich um weniger als 0.3% aller Bitcoins.
A
Anonym
sagt am 12. Juli 2024
Relevant für den Kurs sind aber eher die täglich gehandelten Mengen und nicht die Gesamtmenge. Für den Fall, dass dies nicht allen klar ist.
Kommentar schreiben