Welcome to Brexit: Was der Ausstieg für Aktionäre bedeutet
Doch seit dieser Woche nun steht ein - auf den ersten Blick sehr gewöhnliches - Schinken-Sandwich symbolisch für den Bruch der Briten mit der EU. Nämlich hatte sich ein solches ein Autofahrer als Proviant für seine Reise zwischen Großbritannien und den Niederlanden eingepackt - die holländische Grenze aber sollte das belegte Brot nicht überqueren. Schuld war der Schinken: Denn bestimmte Lebensmittel (u.a. Fisch, Gemüse und Fleisch) dürfen ab sofort nicht mehr nach Europa gebracht werden. Und die Zollbeamten wollten partout keine Ausnahme machen: Auch nicht, als der offensichtlich hungrige Autofahrer vorschlug, er könne ja den Schinken entfernen und nur das nackte Brot behalten. “Nein, wir werden alles konfiszieren”, so der Beamte. Und: “Welcome to Brexit, Sir. I’m sorry”.
Nun ist ein konfisziertes Sandwich so ziemlich der mildeste Nebeneffekt des Brexit, der offiziell seit dem 1. Januar gilt. Das Vereinigte Königreich gehört nicht mehr zur EU, nicht mehr zum EU-Binnenmarkt und nicht mehr zur EU-Zollunion. Auch wenn es einen (für die einen mehr und für andere weniger zufriedenstellenden) Deal gibt: Der Brexit wird vor allem für Großbritannien eine wirtschaftliche Herausforderung darstellen. Was die Aktienmärkte angeht, befinden sich viele britischen Wertpapiere schon im Tiefflug, seit das Wort “Brexit” zum ersten Mal die Runde machte - also etwa seit 2014. Corona hat die Lage nicht gerade verbessert, trotzdem scheint der ein oder andere Kurs aktuell auf dem Weg der Besserung zu sein. Tritt also ein, was Marktexperten und Fondsmanager schon seit Monaten prophezeien? Das große Comeback britischer Aktien - jetzt, wo das Abkommen steht? Geht es vielleicht sogar weiter bergab mit den Kursen? Oder haben die Brexit-Entwicklungen in Wahrheit überhaupt keinen Einfluss auf die Aktienmärkte? Das haben wir uns angeschaut und verraten dir außerdem, wie du dich als Anleger jetzt am besten verhalten solltest.
In Kürze: So sieht der Brexit-Deal aus
Es ist vollbracht: Nach zehn Monaten zäher Verhandlungen gibt es tatsächlich ein Brexit-Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Für viele Leave-Politiker wie Premier Boris Johnson ein Grund zum Feiern: Schließlich ist das ehemalige Empire in seinen Augen nun endlich wieder unabhängig, frei von Brüsseler Bürokratie und lästigen EU-Mitgliedsbeiträgen. Die Briten können künftig handeln, mit wem sie wollen, Grenzen ziehen, wie sie wollen und Steuern abschaffen, wie sie wollen. Und doch behalten sie mit dem ausgehandelten Deal den Zugang zum europäischen Markt, es fallen keine Zölle an und auch keine Mengenbeschränkungen.
Neue Kontrollen, Visa und der Finanzsektor in der Schwebe
Das mag erst einmal wie eine Bilderbuch-Lösung für die Briten klingen. Zumindest erschwert wird der Handel mit der EU durch den Austritt aber doch: Durch neue Zollkontrollen und Formalitäten an den Grenzen und neue Beschränkungen bei den Ein- und Ausfuhren. Auch auf dem Arbeitsmarkt verändert sich einiges: Berufsqualifikationen aus dem Ausland werden nicht mehr - wie zwischen EU-Ländern - ohne Weiteres anerkannt, außerdem ist ein Visum nötig, um sich länger als drei Monate in der EU oder umgekehrt in Großbritannien aufzuhalten.
Was den Finanzsektor betrifft, sind noch viele Fragen offen. Denn auch Banken, Versicherer und Fondsanbieter verlieren mit dem Brexit ihren automatischen Zugang zur EU. Ob es hier auch eine Art Freihandelsabkommen geben wird, ist noch nicht final geklärt. Doch dazu später mehr.
Auswirkungen des Brexit seit 2016
Nun ist es nicht so, dass der Ausstieg der Briten aus der EU völlig überraschend kommt. Schon 2013 stimmte die Mehrheit der Briten für “Leave”, 2016 dann noch einmal beim entscheidenden Referendum. Die meisten Effekte sind bereits eingetreten: Seit 2016 exportieren europäische Länder deutlich weniger auf die Insel, sie haben sich stattdessen nach neuen Handelspartnern umgesehen. Der britische Pfund hat seit 2016 ein Viertel seines Werts im Vergleich zum Euro eingebüßt, und viele Anleger konnten ihre britischen Aktien und Fondsanteile gar nicht schnell genug loswerden. Das wurde vor allem in der Immobilienbrache deutlich: Drei große Immobilienfonds hatten beispielsweise 2016 den Handel eingestellt und die Rücknahme von Anteilsscheinen verweigert und Investitionen eingefroren, weil Anleger massiv Kapital abgezogen hatten.
Viele Unternehmen haben Großbritannien verlassen
Viele Unternehmen und Dienstleister haben sich schon früh auf die Situation nach dem Brexit vorbereitet und ihre Unternehmenssitze in die EU verlagert, um keine Lieferunterbrechungen zu riskieren. Allein nach Deutschland siedelten 2017 mehr als 150 Unternehmen um. Mit dem "New Deal" ist der Handel mit der EU nach wie vor möglich (wenn auch beschwerlicher), und Europa bleibt umgekehrt ein wichtiger Absatzmarkt erhalten. Vor allem in Großbritanniens Wirtschaft wird der Brexit jedoch seine Spuren hinterlassen, schätzen viele Ökonomen und gehen von einer langfristigen Senkung des BIP um 5-7% aus.
Was sich die Briten vom Brexit erhoffen
Bei leidenschaftlichen Brexit-Befürwortern stoßen derartige Prognosen auf taube Ohren: Sie glauben an den Wiederaufstieg der einst so stolzen Seefahrermacht. Außerdem wollen sie endlich frei sein von Brüsseler Regularien und Auflagen. Die Hoffnungen der Brexit-Befürworter im Überblick:
- Nie wieder EU-Rettungsschirme: Wer nicht Mitglied der EU ist, kann auch nicht zur Rettung anderer Staaten verpflichtet werden
- Nie wieder Mitgliedsbeiträge: 2019 waren es etwas mehr als 14 Mrd.€, die Großbritannien zur Finanzierung des EU-Haushalts beigesteuert hat. Kosten, die den Briten künftig erspart bleiben
- Migration: Wie viele Zuwanderer die Briten aufnehmen, wollen sie nicht mehr von der EU vorgegeben bekommen. Die aktuelle Regierung verspricht sich davon eine Reduzierung der Migrationszahlen.
- Arbeitsmarkt: Schwierige Arbeitsbedingungen für EU-Bürger bedeutet, dass mehr Jobs frei werden - und die können wiederum mit Briten besetzt werden
Der Brexit und die Börse: Chance oder Risiko für den Aktienmarkt?
Ein paar Turbulenzen und Einbrüche musste der britische Aktienmarkt in den vergangenen fünf Jahren bereits aushalten. Viele Indizes haben sich inzwischen wieder gefangen, wieder anderen ist der Aufstieg noch nicht so recht gelungen - was allerdings auch mit der Corona-Krise zusammenhängt.
Wie sich die Märkte nach dem Brexit Abkommen verhalten würden, darüber hat es schon im Vorfeld der Verhandlungen um den Deal allerlei Spekulationen und Mutmaßungen gegeben. Manch ein Experte ist eher pessimistisch: Wenn die britische Wirtschaft über Jahre schwächelt, wird sich das auch an der Börse wiederspiegeln. Auf kurz oder lang dürften britische Wertpapiere also hinter anderen zurückbleiben, so manch eine Prognose.
Kommt jetzt der große Aufschwung?
Die meisten Experten aber haben eine wahre Blütezeit für britische Wertpapiere vorausgesagt, weil sich diese nun nach der jahrelangen Unsicherheit wieder erholen dürften. Tatsächlich haben sich mit dem Referendum von 2016 einige Aktien in echte “Schnäppchen” verwandelt. Von einer “Aufholjagd britischer Aktien”, wie sie einige Ökonomen prognostizieren, kann bislang allerdings noch nicht die Rede sein.
Britische Aktien in der Analyse
Easyjet
Für die britische Fluggesellschaft Easyjet ging es zwischen 2015 und 2016 um mehr als 50% bergab, 2018 dann wieder etwas herauf - und dann kam Corona. Der Einbruch des Reiseverkehrs belastet die Fluglinie wie kein anderes Ereignis: Aktuell verharrt die Aktie bei 8,90€ (im November 2015 hatte ein Papier noch 25€ gekostet).
Natwest (Royal Bank of Scotland)
Als “Brexit-Schnäppchen” hatten Analysten vor allem die Aktie der Royal Bank of Scotland (Natwest) angepriesen. Und tatsächlich hat sich der Kurs seit Oktober 2020, also seit die Brexit-Verhandlungen in die heiße Phase eingetreten sind, wieder etwas erholt. Nachdem sich der Aktienwert mit der Corona-Krise halbiert hat (von 2,70€ auf 1,22€), kostet das Papier aktuell 1,82€. Ob die Entwicklung tatsächlich auf den Brexit zurückzuführen ist oder nicht eher daher kommt, dass auch im Oktober 2020 die Hoffnung auf einen Impfstoff kräftig wuchs? Unklar.
BP & Shell
Auch der Ölindustrie hat die Krise kräftig zu schaffen gemacht - denn wenn Flugzeuge am Boden und Schiffe im Hafen bleiben, gibt es wenig Verwendung für das “schwarze Gold”, das man zeitweise tatsächlich hinterhergeworfen bekam. Seit Jahresbeginn 2021 hat der Kurs des Londoner Mineralölunternehmens British Petroleum (BP) um 13% zugelegt - der Vorkrisenstand ist aber nach wie vor in weiter Ferne. Ob also tatsächlich der Brexit Deal für den Aufschwung verantwortlich ist oder nicht doch die Impfstoffentwicklung? Oder war es ganz einfach Saudi Arabiens Ankündigung, mal wieder die Öl-Fördermengen zu verknappen und so den Preis nach oben zu treiben?
BMW
Umdenken durch den Brexit müssen auch einige europäische Unternehmen wie der deutsche Autobauer BMW. Mit Mini und Rolls Royce haben zwei seiner Konzernmarken ihren Sitz im Vereinigten Königreich, außerdem produziert BMW in Großbritannien Teile für den europäischen Markt und umgekehrt. Im Dezember hieß es, der Autobauer denke über eine Verlagerung seiner Standorte in die EU nach. So ist auch die BMW-Aktie 2015 kurz vor dem Referendum von 115€ auf knapp 70€ gesunken. Aktuell macht allerdings vor allem die Corona-Krise dem Autobauer zu schaffen.
Wie steht es um britische Indizes?
FTSE 100
Der wichtigste britische Aktienindex, der FTSE 100, hat zum neuen Jahr seinen höchsten Stand seit vergangenem Frühjahr erreicht. Tatsächlich erlitten der Index und damit die ETFs auf ihn nur eine vergleichsweise leichte Delle durch das Brexit-Referendum von 2016. Seit der Entscheidung zum Austritt hat der Index sogar zugelegt - erst die Corona-Pandemie machte dem Anstieg einen kräftigen Strich durch die Rechnung.
MSCI UK & FTSE 250
Auch der MSCI UK (93 Werte) und der FTSE 250 haben sich inzwischen vom Corona-Schock wieder etwas berappeln können. Zwischen 2015 und 2017 sind die Indizes kurzzeitig stark gefallen, anschließend aber wieder gestiegen. Von Ende Oktober bis Mitte Januar (Stand 13.01.21) haben beide Indizes rund 20% dazugewonnen. Doch auch hier bleibt die Frage: Ein Brexit-Effekt oder “nur” eine Reaktion auf die anstehende wirtschaftliche Erholung in der Welt?
Fakt ist: Niemand weiß es. Wie sich die Kurse an der Börse verhalten, hängt allein von der Nachfrage der Investoren ab. Und ob diese kaufen, weil sie einen baldigen Brexit-Deal vermuten oder die Impfstoff-Nachrichten sie in Kauflaune bringen, bleibt ihr Geheimnis.
Spekulieren mit dem Pfund
Investitionsfreude hat der Brexit auch bei vielen Devisenhändlern ausgelöst: Seit dem Referendum vor fünf Jahren hat das britische Pfund (GBP) immens an Wert verloren und sich zum Beispiel dem Euro immer mehr angenähert. Aktuell entspricht 1 EUR 0,90 GBP. Vor dem Referendum waren es gerade mal 0,70 GBP. Das reizt Spekulanten, die entweder auf ein Wiedererstarken der britischen Währung setzen oder darauf, dass das Pfund weiter an Wert verliert.
Die Zukunft der Finanzwelt ist nach wie vor unsicher
Wie es mit dem Güterhandel zwischen der britischen Insel und der EU weitergeht, hält das neue Abkommen haargenau fest. Nach wie vor ungeklärt ist jedoch, wie es für britische Finanzdienstleister weitergeht. Sie haben mit dem neuen Jahr nämlich ihre sogenannten Passporting-Rechte verloren, also ihren automatischen Zugang zum europäischen Markt, ohne dass sie eine Niederlassung in dem entsprechenden Land besitzen. Konkret bedeutet das, dass einige Banken, Versicherer und Fondsanbieter wie die britischen Portale Moventum und FFB ihre Produkte künftig nicht mehr in der EU vertreiben dürfen. Für den Finanzplatz London würde das einen harten Einschnitt bedeuten. Brexit-Befürworter dagegen haben in dem Abschied von der EU immer auch eine Chance für den Finanzsektor gesehen: Schließlich würden auch hier strenge EU-Regularien hinfällig und die Branche wieder wettbewerbsfähiger werden, so die Argumente vieler.
Viele Institute sind vorbereitet
Bis März will die EU-Kommission nun entscheiden, welche Dienstleistungen die britische Finanzindustrie fortan noch anbieten darf.
Die gute Nachricht ist: Die meisten Finanzinstitute haben sich darauf längst vorbereitet und bestimmte Geschäftseinheiten und mehrere Tausend Arbeitsplätze in die EU verlagert - nach Dublin, Paris, Luxemburg oder Frankfurt beispielsweise. Sollten die Passporting Rechte britischer Finanzdienstleister tatsächlich verloren gehen, dürften noch mehr Unternehmen nachziehen. Ein nicht gerade billiger Vorgang.
Auch Fondsanbieter haben vorgesorgt - zumindest die meisten
Vor allem große Kapitalgesellschaften sind früh tätig geworden und haben sich ein neues Standbein (Tochterfirmen oder Zweitniederlassungen) in Kontinentaleuropa aufgebaut - oder hatten ohnehin schon eines.
Die Einlagensicherung greift nach wie vor
Wer als EU-Bürger sein Erspartes bei einer britischen Bank geparkt hat (als Fest- oder Tagesgeld) kann auch fortan sicher sein, dass sein Geld geschützt ist. Denn auch Großbritannien sichert Beträge bis zu einer Höhe von 85.000 Pfund (knapp 95.000 Euro) ab. Im Auge behalten sollten Sparer allerdings das Wechselkursrisiko. Je nachdem, wie das Verhältnis zwischen Euro und Pfund (GBP) ist, könnte das eigene Ersparte schrumpfen, aber auch an Wert gewinnen, sobald das Kapital abgezogen und wieder auf ein europäisches Konto überwiesen wird. Mehr zu Wechselkursen und Währungsrisiken erfährst du hier.
Also: Großbritannien bleibt attraktiv für Anleger - nicht mehr und nicht weniger
Großbritanniens Wirtschaft wird aller Wahrscheinlichkeit in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weniger schnell wachsen. Dennoch: Firmen werden auch künftig produzieren, Menschen konsumieren und andere Staaten importieren und exportieren. Das Königreich bleibt ein wichtiger Handelspartner der EU - schließlich wird der Handel auch nach wie vor möglich sein (wenn auch strapaziöser). Eine gute Nachricht ist auch: All das kommt nicht überraschend. Viele Firmen haben bereits vor Jahren Vorkehrungen getroffen, wie sich ökonomische Hürden klein halten lassen. Fairerweise muss man aber auch sagen: Sich umfangreich auf die Situation vorzubereiten, war quasi unmöglich. Schließlich wurden die genauen Regeln und Auflagen erst vor wenigen Wochen festgelegt. Und für britische Finanzinstitute, Fondsanbieter und Versicherer ist die Lage nach wie vor ungeklärt.
Für Anleger ist und bleibt der britische Markt interessant - ob sich hier gerade Schnäppchen schlagen lassen oder nicht, wird allein die Zukunft zeigen. Auch ist ungewiss, wie sich die britische Wirtschaft tatsächlich entwickeln wird und wie attraktiv der Standort in Zukunft für ausländische Firmen sein wird (bei vielen Ökonomen wächst die Furcht vor einer britischen Steueroase vor den Türen der EU).
Das mag allerlei Spekulanten anziehen und dem ein oder anderen große Gewinne (oder Verluste) einspielen. Aber wie immer ist es doch so: Wie sich die Kurse entwickeln, kann niemand vorhersagen. Und langfristige Anleger sind nach wie vor gut beraten, ihr Erspartes breit gestreut und über mehrere Länder hinweg zu streuen - auch in solchen Ländern, die nicht Mitglied der EU sind. Es könnte ja sein, dass noch einmal ein Staat auf die Idee kommt, “sich von Europa zu befreien”... Eine geeignete Möglichkeit, um dies zu tun, bietet etwa ein ETF. Den richtigen Broker dafür kannst du in unserem ETF-Sparplan-Vergleich finden.
Kommentare (0)
Kommentar schreiben