Chartanalyse: Funktioniert es oder ist es kompletter Humbug?
Was ist Chartanalyse?
Die Chartanalyse, auch technische Analyse genannt, besteht darin, den Kurs einer Aktie oder eines anderen Wertpapiers zu interpretieren. Dabei schaut man sich den Kurs der Vergangenheit an und versucht, Trends zu erkennen, von denen man profitieren kann. Mithilfe von verschiedenen Indikatoren, die man in den Kursverlauf einzeichnen kann, können so Kauf- oder Verkaufszeitpunkte ermittelt werden.
Einige Methoden der Chartanalyse
Um einen groben Einblick in die Chartanalyse zu geben, zeigen wir hier einige der gängigsten Charttechniken. Vor allem die Profis verwenden hier aber deutlich aufwendigere Techniken und kombinieren verschiedene Methoden miteinander
1. Trendlinien
Eine Trendlinie zeigt einen Aufwärts- oder einen Abwärtstrend an. Diese wird folgendermaßen eingezeichnet:
- Läuft der Trend nach oben, zeichnet man eine Trendlinie unterhalb des Charts ein.
- Läuft der Trend nach unten, zeichnet man eine Trendlinie oberhalb des Charts ein.
- An mehreren Punkten sollte die Linie auf den Kurs aufsetzen.
Eine Trendlinie, die einen aufsteigenden Trend kennzeichnet, sieht beispielsweise so aus:
Während diese Trendlinie einen absteigenden Trend markiert:
Wenn der Kursverlauf nun die Trendlinie durchbricht, rechnet man mit einer Trendumkehr. Das wäre für einen Trader dann ein Signal, die Aktie zu kaufen, zu verkaufen oder sogar zu shorten – sprich auf einen fallenden Kurs zu wetten.
2. Gleitender Durchschnitt
Der gleitende Durchschnitt ist der durchschnittliche Kurs der letzten Tage. Zum Beispiel der letzten 30 Tage. Um den gleitenden Durchschnitt zu erhalten, berechnet man den Mittelwert – zum Beispiel der letzten 30 Tage – und trägt ihn in den Chart ein. Das macht man für alle anderen Tage auch und daraus ergibt sich dann diese Linie:
Der wichtigste gleitende Durchschnitt ist die sogenannte 200er Linie. Also der gleitende Durchschnitt der letzten 200 Handelstage.
Der gleitende Durchschnitt verhält sich ähnlich wie die Trendlinie: Läuft der Trend nach unten, verläuft der gleitende Durchschnitt oberhalb des Kurses. Und geht der Trend nach oben, verläuft der gleitende Durchschnitt unterhalb des Kurses.
Kreuzen sich der Kurs und der gleitende Durchschnitt, ist das ein Kauf- oder Verkaufssignal - je nachdem, ob der Kurs von oben oder von unten durch den gleitenden Durchschnitt verläuft.
3. Widerstand und Unterstützung
Als Widerstandslinie oder Unterstützungslinie bezeichnet man eine horizontale Linie, die man in den Chart einzeichnen kann. Diese Linien werden für eine längere Zeit nach oben oder nach unten vom Kurs nicht durchbrochen, als gäbe es eine gläserne Decke oder einen gläsernen Boden.
Eine Widerstandslinie wird oberhalb des Kurses eingezeichnet und wird nicht von unten nach oben durchbrochen. Eine Unterstützungslinie wiederum verläuft unterhalb des Kurses.
Wie verwendet man diese Linien nun als Kauf- oder Verkaufssignale? Immer wenn sich der Kurs der Linie nähert, geht man davon aus, dass dieser anschließend seine Richtung ändert. Man kann in diesem Moment also kaufen oder verkaufen. Wird eine solche Linie hingegen durchbrochen, wird das als positives Signal (Widerstand) oder negatives Signal (Unterstützung) gewertet.
4. Bollinger Bänder
Bollinger Bänder bestehen aus 3 Linien. In der Mitte verläuft der gleitende Durchschnitt, hier gestrichelt dargestellt. Von diesem gleitenden Durchschnitt zieht man jeweils eine oder mehrere Standardabweichungen ab oder addiert sie hinzu. Dadurch entsteht das obere und untere Band.
Die Standardabweichung drückt aus, wie stark verschiedene Werte von ihrem Mittelwert abweichen. In diesem Falle ist die Standardabweichung also ein Maß dafür, wie stark der Kurs schwankt. Schwankt der Kurs stärker, ist die Standardabweichung höher und umgekehrt.
Die Bänder bewegen sich also ähnlich wie der gleitende Durchschnitt entlang des Kurses. Je stärker er schwankt, desto breiter ist das Band. Und wenn der Kurs weniger schwankt, wird das Band enger.
Wie werden die Bollinger Bänder verwendet? Nähert sich der Kurs dem oberen Band, ist dies ein Signal dafür, dass der Kurs steigen wird. Andersherum geht man eher von einem fallenden Kurs aus, wenn der Kurs sich dem unteren Bollinger Band nähert.
5. Formationen
Wie bereits erwähnt, suchen Charttechniker nach Hinweisen, wann ein Trend zu Ende geht und sich umkehrt, um dann entsprechend handeln zu können. Dabei können ihnen zum Beispiel auch bestimmte “Formationen” helfen - also Muster, die man im Chart erkennt und die auf eine Trendwende hindeuten. Hier ein paar mögliche Formationen:
Die V-Formation
Bei der V-Formation verläuft der Kurs steil nach unten und dann steil wieder nach oben. Daran kann man eine Trendwende ablesen.
Die W-Formation
Kommt es zu zwei V-Bewegungen hintereinander, spricht man von einer W-Formation.
Der Kurs fällt zum Beispiel nach unten ab und findet dann eine Unterstützung. Dort sind Investoren, die diese Unterstützungslinie identifiziert haben, bereit zu kaufen und sorgen damit für einen Kursanstieg. Nach einem kurzen Anstieg nehmen diese ihre Gewinne mit, verkaufen die Aktie und sorgen wieder für einen Kursabfall. Anschließend steigt der kurs wieder langfristig.
Die M-Formation
Die gleiche Formation wie die W-Formation gibt es auch umgekehrt. Dann spricht man von der M-Formation. Auch diese läutet eine Trendwende ein – nämlich von steigend zu fallend.
Schulter-Kopf-Schulter-Formation (SKS)
Ebenfalls eine Trendwende deutet die Schulter-Kopf-Schulter Formation an, die wie folgt aussieht.
Chartanalyse überprüft
Um zu testen, ob die Chartanalyse überhaupt funktioniert, haben wir das Ganze einmal durchgerechnet. Dazu verwenden wir den gleitenden Durchschnitt der letzten 200 Tage. Dieser hat den Vorteil, dass man ihn berechnen kann und nicht wie Trendlinien händisch einzeichnen muss. Außerdem ist der gleitende Durchschnitt ein guter Ersatz für eine händisch eingezeichnete Trendlinie.
Wenn der gleitende Durchschnitt den Kurs von unten kreuzt, wird verkauft. Wenn dieser den Kurs wiederum von oben kreuzt, wird gekauft.
Unsere Test-Methode ist eine starke Vereinfachung. Kein Trader würde so “simpel” nur nach einem Indikator traden. Dennoch kann man dadurch qualitativ erahnen, ob sich solche Methoden überhaupt lohnen.
Beispiel S&P 500
Die folgende Grafik zeigt, wie ein Portfolio aussehen würde, wenn man die Strategie seit 1960 mit dem S&P 500 Index durchgezogen hätte. Die rote Linie zeigt den Kurs des S&P 500, die schwarze Linie den gleitenden Durchschnitt und die blaue Linie zeigt den Verlauf des Portfolios mit dieser Handelsstrategie.
Wie in dem Chart gut zu sehen ist, gibt es Zeiten, in denen man den S&P 500 tatsächlich geschlagen hätte. Im Ergebnis läge man heute aber drunter.
Dieses Beispiel ist jedoch nicht sehr realistisch, denn die Wahrscheinlichkeit, dass man über den gesamten Zeitraum seit 1960 in diesen Index investiert, ist recht niedrig. Wahrscheinlicher ist es, dass man über einen zufälligen Zeitraum von beispielsweise 10 Jahren in diesen Index investiert.
Deswegen haben wir diesen Chart in 13.060 Zeiträume von je 10 Jahren unterteilt, in denen jeweils nach der obigen Handelsstrategie gehandelt wird. Anschließend haben wir nachgezählt, in wie vielen Zeiträumen es mit der Strategie besser lief als mit einer reinen Buy and Hold Strategie.
Das Ergebnis: In nur 38% der Szenarien lief es mit dieser Strategie tatsächlich besser. In den meisten Zeiträumen hätte es sich jedoch gelohnt, einfach nur neutral investiert zu bleiben.
Beispiel Apple-Aktie
Führen wir nun den gleichen Test mit der Apple-Aktie durch. Hier zur Veranschaulichung zunächst der Kurs seit 1980.
Hält man das Trading mit der Apple-Aktie zehn Jahre durch, hätte man in der Vergangenheit tatsächlich in knapp mehr Szenarien besser abgeschnitten als die Apple-Aktie selbst. Aber auch dieser Vorsprung ist hauchdünn: In nur 54% der Szenarien hätte sich das Trading gelohnt.
Nicht berücksichtigt haben wir hier übrigens Steuern und Handelskosten.
Lohnt sich die Chartanalyse?
Sicherlich gibt es einige Trader, die mithilfe der Chartanalyse erfolgreich handeln und damit Geld verdienen. Tatsächlich basiert die Chartanalyse aber vermutlich auf Psychologie. Das heißt, man versucht zu antizipieren, wie sich der Großteil der Marktteilnehmer verhalten wird.
Auch dürften viele Methoden der Chartanalyse eine selbsterfüllende Prophezeiung sein: Wenn viele Marktteilnehmer annehmen, dass ein Kurs zum Beispiel eine Linie nicht durchbrechen wird und dementsprechend Kaufen oder Verkaufen, kann sich diese Erwartung dadurch realisieren.
Das größte Manko der Chartanalyse ist, dass sie sich immer nur auf die Vergangenheit bezieht. Im Gegensatz dazu steht die Fundamentalanalyse, bei der nicht der Aktienkurs, sondern die Geschäftszahlen und Gewinnprognosen von Unternehmen analysiert werden. Hier findet im Gegensatz zur Chartanalyse die Zukunft wirklich statt.
“Charts sind großartig, um die Vergangenheit vorauszusagen”
Peter Lynch
Gerade für langfristige Investoren ist die Chartanalyse relativ nutzlos. Denn hier wird ohnehin davon ausgegangen, dass die Kurse langfristig steigen. Es ergibt daher mehr Sinn, die ganze Zeit investiert zu bleiben, als hin und her zu traden.
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Kommentare (3)
H
Heide
sagt am 18. Juli 2023
Hallo Finanzfluss, wo kann ich denn die 200-Tageslinie einstellen. Finde den gleitenden Durchschnitt nicht. Kann mir jemand einen Tipp geben. Würde mich freuen.
M
Max Mustermann
sagt am 07. Februar 2022
Hallo, Würde ich mich auch drüber freuen!!!
F
Fabian
sagt am 12. Dezember 2021
Liebes Finanzfluss-Team, ich finde eure Berechnungen immer sehr spannend, und würde gerne etwas besser nachvollziehen können, wie diese zustande kommen und welche Faktoren ihr dabei berücksichtigt. Könntet ihr für die Leute, die sich näher mit diesem Thema beschäftigen wollen den Code der Simulation z.B. auf GitHub veröffentlichen? Liebe Grüße, Fabi
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