Russische Aktien: Zwischen Blüte & Boykott
Anlässe genug gibt es ja auch: Aktuell beschäftigt die Regierungen vor allem die Causa Nawalny - der Streit um den Umgang mit jenem russischen Oppositionspolitiker, der wegen seines Kampfes gegen den Kreml von Präsident Putin zu Lagerhaft verurteilt wurde, nachdem man zunächst versucht hatte, ihn mit einem Nervengift zu töten. Es ist einer von vielen Fällen, in denen der Ruf nach neuen Sanktionen aus Europa und den USA lauter wird. Sanktionen, mit denen der Westen bereits seit Jahren versucht, den Kreml zur Vernunft zu zwingen.
Abgesehen davon, dass der Ost-West-Konflikt beunruhigende Ausmaße annimmt, hinterlassen die regelmäßigen Embargos auch wirtschaftlich ihre Spuren, allen voran in der ehemaligen Sowjetrepublik. Seit mehr als 10 Jahren wächst die russische Wirtschaft nur schleppend, der Rubel verliert laufend an Wert. Dazu hindern ganz grundlegende ökonomische Strukturen das ehemalige Zarenreich daran, zu einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsakteur aufzusteigen.
Russlands Wirtschaft: Zwischen Stagnation und Explosion
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist Russlands Wirtschaftswachstum alles andere als geradlinig verlaufen. Auf radikale Privatisierungen Anfang der 1990er folgten eine Hyperinflation, eine Phase der Stabilisierung und ein florierender Aktienmarkt gegen Ende der 1990er Jahre. Vor dem Hintergrund der Asienkrise und massiven Investitionen aus dem Ausland braute sich schließlich eine riesige Spekulationsblase an der Moskauer Börse zusammen, die im Zuge der “Russlandkrise” 1998 platzen sollte. Das ehemalige Zarenreich, zahlungsunfähig, überschuldet und instabil, konnte sich bis 2008 wieder berappeln, die Wirtschaft wuchs teilweise um 10% pro Jahr. Bis die weltweite Finanzkrise 2008/09 das Land zurück warf - vor allem der Einbruch der Ölpreise machte Russland zu schaffen. Wieder gelang es dem Staat, sich einigermaßen zu erholen und Produktion und Beschäftigung anzukurbeln. Bis zum Jahr 2014, das fast schon den Anbeginn einer neuen Ära markiert: Durch Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim verschärfte sich die Ukraine-Krise und mit ihr die Beziehungen von Putin zum Westen. Zum ersten Mal verhängten die USA und Europa Sanktionen über Russland, die bis heute anhalten. Und es sollten nicht die letzten bleiben - doch dazu später mehr. Durch die Corona-Krise ist Russland vergleichsweise moderat gekommen - obwohl auch hier der fallende Ölpreis dem Land schwer zu schaffen gemacht hatte.
Wenig beweglich, extrem abhängig
Dass Russland vom Aufstieg zu einer wettbewerbsfähigen Industrienation noch ziemlich weit entfernt ist, hat mehrere Gründe.
Der Industriesektor ist wenig ausgebaut, und auch wenn Sektoren wie Verkehr, Kommunikation und Gastgewerbe in den vergangenen Jahren wichtiger geworden sind, während beispielsweise die Landwirtschaft im Vergleich zu den 90ern nur noch eine untergeordnete Rolle spielt: Die Abhängigkeit von Rohstoffen wie Öl und Gas ist immer noch erheblich. Russische Unternehmen unterliegen vielfach nach wie vor staatlicher Kontrolle und haben wenig Bewegungsfreiheit, wie auch aktuell wieder sichtbar wird: Wie Putin vor Kurzem ankündigte, sollen russische Unternehmen bis 2024 nur noch russische Software einsetzen. Sich von westlichen Herstellern wie Microsoft und SAP zu trennen, würde die russische Wirtschaft knapp 9 Mrd. Dollar kosten, haben russische Banken geschätzt. Ein Eingriff, der selbst Riesenkonzerne wie Gazprom vor Herausforderungen stellen würde.
Weniger Schulden, mehr Investitionen
Einige optimistische Börsenanalystinnen und -analysten lassen sich von solchen Ereignissen nicht beunruhigen. Sie argumentieren regelmäßig mit der Stärke des russischen Staates, der durch strikte Sparmaßnahmen tatsächlich seinen Haushalt weitgehend konsolidieren konnte. Wahr ist auch, dass Russland an der Modernisierung seiner Wirtschaft arbeitet und seit der Amtseinführung Putins Wirtschaftsreformen umgesetzt hat, die beispielsweise die Besteuerung von Unternehmen vereinfacht haben. Mit umfangreichen Investitionen in den Wohnungsbau, die Infrastruktur oder die Energieeffizienz kommt Russland seinem Ziel, ein konkurrenzfähiger Wettbewerber auf dem internationalen Markt zu sein, zumindest ein Stück weit näher. Seit 2010 und bis 2030 investiert Russland knapp 1 Billion Euro in die Modernisierungsmaßnahmen. Auch wenn Russlands Wirtschaft nur schleppend wächst, ist der Staat widerstandsfähiger und unabhängiger von Geldgebern geworden. Ein anderes Argument vieler Börsen-Analysten ist der vergleichsweise niedrig bewertete Aktienmarkt: Viele Werte seien unglaublich günstig zu haben und daher eine Investition wert, so heißt es immer.
Größtes Problem bleiben die politischen Spannungen
Überschattet werden die positiven Signale aber vor allem von den seit Jahren andauernden Streitigkeiten mit dem Westen. Es begann mit der Krim-Krise 2014, es folgte die Einmischung in den Syrien-Krieg an der Seite des syrischen Machthabers Assads - beide Manöver hieß der Westen alles andere als gut und verhängte Sanktionen. Zwischendrin beweist Kreml-Chef Putin immer wieder, dass er vor nichts zurückschreckt, um seine Macht spielen zu lassen. Auch wenn Russland Giftanschläge wie gegen den russischen Ex-Agenten Sergei Skripal und den Kreml-Kritiker Alexei Nawalny oder Cyber-Attacken gegen westliche Behörden empört abstreitet, sind die Beziehungen zwischen Russland und der westlichen Welt mehr als belastet.
Finanzielle Sanktionen
Noch viel härter treffen das größte Land der Erde allerdings die zahlreichen Sanktionen, die seither vom Westen verhängt werden. Dazu gehören ein Waffenembargo, das europäischen Unternehmen die Ausfuhr und den Verkauf von Waffen, Munition, Militärflugzeugen und anderen Rüstungsgütern in die Russische Föderation verbietet. Auch sogenannte “Dual Use Güter”, also Güter mit doppeltem Verwendungszweck, die zum Beispiel zur Herstellung von Kernwaffen oder Sprengstoff verwendet werden könnten, sind seit 2014 verboten.
Hinzu kommt eine Reihe von Finanzsanktionen, die Russland bewusst von langfristigen Finanzierungen aus dem Ausland abschneiden sollen. Seit 2014 ist es Bürgerinnen und Bürgern sowie Firmen aus der EU verboten, Anleihen und Aktien solcher Banken zu kaufen, die zu 50% dem russischen Staat gehören. Betroffen sind die Sberbank, Vneshtorgbank (VTB), Gazprombank, Vnesheconombank (VEB) und die Rosselkhozbank, denen es nach wie vor unmöglich ist, Finanzinstrumente mit einer Laufzeit von mehr als 30 Tagen auf einem europäischen Finanzmarkt zu platzieren und so Kapital einzusammeln.
Einige Aktien dürfen nicht mehr gehandelt werden - eigentlich
Auch dürfen Aktien und Anleihen mehrerer Öl- und Rüstungs-Unternehmen, darunter Rosneft, Gazprom und Transneft, seit 2014 nicht mehr auf dem an europäischen Börsen platzieren. Für die Einhaltung des Verbots sind die Herausgeber von Finanzinstrumenten verantwortlich. Die Regelung gilt allerdings nur für solche Papiere, die nach 2014 begeben wurden. Und werden die Aktien oder Anleihen weniger als 30 Tage gehalten, sind sie ebenfalls weiterhin handelbar.
Andrew Bossomworth, Manager der Investmentgesellschaft Pimco, hat das gegenüber dem Magazin Die Zeit einmal so erklärt: "Es soll keine längerfristige Finanzierung von Projekten geben. Aber die Unternehmen sollen dennoch genug Liquidität haben, um solvent zu bleiben und nicht pleite zu gehen."
Staatsanleihen bei ausländischen Investorinnen so unbeliebt wie lange nicht
Weil sich die Krise um die Krim am Schwarzen Meer aktuell erneut zuspitzt, haben die USA Ende April erneut zahlreichen Sanktionen erlassen, die unter anderem auf den russischen Kapitalmarkt abzielen: Ab Juni soll es US-amerikanischen Investoren nicht mehr erlaubt sein, russische Staatsanleihen zu kaufen. Auch hier gilt das Handelsverbot allerdings nur für neu aufgelegte Papiere. Bereits emittierte Anleihen können also nach wie vor gehandelt werden und müssen auch nicht verkauft werden.
Seit Februar haben ausländische Investoren Anleihen im Wert von mehreren Milliarden USD abgestoßen, der Anteil an ausländischen Anleihen-Haltern war im April so gering wie seit 2015 nicht mehr.
Russland schießt mit Sanktionen zurück - und schadet sich zusätzlich
Auf westliche Sanktionen reagiert der Kreml verlässlich mit Gegensanktionen. Seit 2014 beispielsweise ist es zahlreichen Lebensmittelherstellern aus dem Ausland nicht mehr erlaubt, bestimmte Waren nach Russland zu exportieren. Betroffen von dem Nahrungsmittel-Embargo sind die EU und außerdem Länder wie die USA, Australien, Kanada und Norwegen. Kurzum: Staaten, die 2014 Sanktionen gegen Russland verhängt hatten.
Auch der bereits erwähnte Plan Putins, die russische IT von westlichen Einflüssen abzuschotten, ist eine Reaktion auf die Sanktionen mit dem Ziel, sich unabhängiger vom Westen zu machen. Die russische Wirtschaft würde dafür einen hohen Preis zahlen, allein weil die Systeme komplett umgebaut werden, weswegen nun selbst staatsnahe Firmen gegen die Forderung protestieren.
Der russische Aktienmarkt
Wirft man einen Blick auf die langfristige Entwicklung des russischen Leitindex RTS (Russian Trading System), wird deutlich, dass es für den russischen Aktienmarkt im internationalen Vergleich nach der Finanzkrise 2008 vor allem bergab ging. Zwar erholte sich auch der russische Markt von der Krise, sein Vorkrisenniveau konnte er aber bis heute nicht erreichen.
Gleichzeitig muss man aber beachten, dass der Index nach der Russlandkrise von 1998 deutlich stärker gestiegen ist als seine westlichen Pendants. Wer also beispielsweise im Jahr 2000 in den russischen Index investiert hat, kann heute auf eine bessere Rendite blicken als beispielsweise ein reiner DAX-Investor.
Aber wie können ausländische Anlegerinnen überhaupt in russische Papiere investieren? Ein Überblick über die wichtigsten Indizes und handelbare ETFs.
Der RTS - der Leitindex
Eine Art Leitindex ist der RTS (Russian Trading Systems), der die 50 größten Unternehmen an der Moskauer Börse listet, darunter die russische Luftfahrtlinie Aeroflot, das Öl- und Gasunternehmen Gazprom oder die Sberbank. Der Fokus liegt ganz klar auf Unternehmen aus dem Rohstoffsektor, es stecken aber auch Werte aus den Branchen Einzelhandel, Landwirtschaft, Stahl oder Kommunikation in dem Index. Einen ETF, der in Europa handelbar wäre, gibt es auf den RTS nicht.
Der MSCI Russia
Knapp 85% der Marktkapitalisierung russischer Unternehmen deckt der MSCI Russia Index ab, indem er in die 24 nach Marktkapitalisierung stärksten mittleren und großen Firmen des Landes investiert (Stand: April 2021). Enthalten sind auch hier fast zur Hälfte Energieunternehmen wie Gazprom (35%) und Lukoil (14%), aber auch Bergbau-Unternehmen wie Norilsk Nickel oder Kommunikationsunternehmen wie Yandex A. Mehrere Anlagegesellschaften wie Lyxor und iShares bieten ETFs auf den Index an, die auch an europäischen Börsen wie der Xetra oder der Börse Frankfurt handelbar sind. Der Lyxor MSCI Russia UCITS ETF (ISIN: LU1923627092) beispielsweise verwaltet insgesamt knapp 280 Mio. € Fondsvolumen und damit ein etablierter Indexfonds am Markt.
Der RTX
Ein weiterer großer Index ist neben dem RTS der RTX (Russian Traded Index), der insgesamt zwölf der größten russischen Unternehmen abbildet. Ein Investment in den Index von Europa aus ist allerdings nur über ein sogenanntes Open-End-Zertifikat möglich, also ein Zertifikat ohne feste Laufzeit, das u.a. von der Börse Frankfurt herausgegeben wird. Ähnlich wie Swap-ETFs besteht für Investorinnen und Investoren hier ein Gegenparteirisiko: Die Gegenpartei, also der Emittent des Zertifikats, könnte das Zertifikat aufkündigen (weil beispielsweise nicht genügend Investoren investiert sind) und den Anlegerinnen würde der aktuelle Wert der Aktie ausgezahlt.
Generell sind solche Zertifikate für ausländische Investoren das geläufige Instrument, um auf die Wertentwicklung russischer Aktien zu setzen. Beispielsweise ist so auch eine Investition in bestimmte Branchen-Indizes wie den RTS Consumer & Retail Index möglich, der ausschließlich solche Unternehmen abbildet, die nicht im Rohstoff- bzw. Energiesektor tätig sind. Gelistet ist der Index an der MOEX (Moskow Exchange), der größten russischen Börsengruppe.
Ausländische Investorinnen kaufen keine Originalaktien
Der Handel russischer ETFs und Einzelaktien ist von Europa aus möglich - wenn auch eingeschränkt. Ganz grundsätzlich werden beispielsweise von Deutschland aus jedoch niemals Originalaktien gehandelt, sondern sogenannte ADR und GDR (American Depositary Receipts und Global Depository Receipts), also Zertifikate, die das Recht auf die Aktie und damit auch auf Dividendenzahlungen verbriefen. Ein Stimmrecht ist Anlegern dafür nicht gegeben. Die Umwandlung von Aktien in Zertifikate übernimmt in der Regel die Bank of New York.
Breiter gestreut: Ein Investment in Schwellenländer-Aktien
Um nicht das volle Risiko bei einem Investment in den russischen Aktienmarkt einzugehen und mit einem ETF auf einen Index wie den MSCI Russia vor allem in solche Unternehmen zu investieren, die stark von den Rohstoffpreisen und wirtschaftspolitischen Entwicklungen abhängen, bietet sich alternativ ein Investment in Schwellenländer an.
Mit einem Weltindex wie dem MSCI ACWI investieren Anlegerinnen und Anleger nämlich in keine einzige russische Aktie. Doch auch in manch einem Schwellenländer-Index wie dem MSCI EM (Emerging Markets) ist Russland mit einem Anteil von knapp 3% ziemlich unterrepräsentiert, es dominieren vor allem asiatische Länder wie China, Taiwan und Südkorea. Etwas “russischer” ist dagegen der FTSE BRIC 50 Schwellenländer-Index aufgestellt, der zu knapp 9% Unternehmen aus der Russischen Föderation abbildet.
Russischer Aktienmarkt: Viel Luft nach oben bei hoher Abhängigkeit
Trotz heftiger wirtschaftlicher Krisen ist es dem russischen Staat in den vergangenen 20 Jahren immer wieder gelungen, sich einigermaßen zu berappeln - wenn auch nicht vollständig. Das ehemalige Zarenreich ist dank strikter Sparmaßnahmen und Modernisierungs-Reformen heute weniger abhängig von westlichen Geldgebern als Ende des letzten Jahrtausends. Auch zeigt ein Blick auf die Kurse der wichtigsten russischen Aktienindizes, dass einige langfristige Investorinnen eben wegen dieser positiven Entwicklungen heute sogar auf eine bessere Rendite kommen als solche Anleger, die ausschließlich in deutsche oder US-amerikanische Indizes investiert haben.
Man muss aber auch dazu sagen, dass Russland nach wie vor wirtschaftlich sehr abhängig von internationalen Handelspartnern wie Deutschland und gleichzeitig den Rohstoffpreisen ist. In Krisenzeiten können einbrechende Erdölpreise für Russland zum Verhängnis werden, wie ein Blick in die Vergangenheit gezeigt hat. Wirtschafts- und finanzpolitische Sanktionen wegen politischer Spannungen drücken ebenfalls auf das Wirtschaftswachstum.
Sanktionen sind für Investorinnen und Investoren kaum spürbar
Vom Ausland aus in russische Aktien zu investieren, ist möglich. Über ETFs, die an europäischen Börsen gehandelt werden, oder über Zertifikate. Zwar sollen europäische und amerikanische Sanktionen den Kapitalfluss nach Russland beschränken - weil sich die Verbote jedoch lediglich auf ausgewählte und ausschließlich neu emittierte Anleihen und Aktien bezieht, sind die Auswirkungen für Investorinnen und Investoren kaum spürbar.
Um ein Portfolio breiter stärker zu diversifizieren, kann es durchaus sinnvoll sein, neben einem Welt-Index auch in solche Schwellenländer-Indizes zu investieren, die russische Werte abbilden. Schließlich liegt der Anteil an russischen Aktien in einem Index wie dem MSCI ACWI bei 0%. Falls du noch auf der Suche nach dem richtigen Broker für deine Sparpläne bist, kannst du diesen übrigens in unserem ETF-Sparplan-Vergleich finden.
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