0% Sparquote: Können wir bald nichts mehr zurücklegen?
Bisher konnte Deutschland seinen Titel als Sparweltmeister noch immer verteidigen. Fragt sich nur, wie lange noch. Nach Schätzungen von Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis wird die Mehrheit der Deutschen bald nicht mehr in der Lage sein, überhaupt einen Cent auf die hohe Kante zu legen. „Wir rechnen damit, dass wegen der deutlichen Preissteigerung perspektivisch bis zu 60 Prozent der deutschen Haushalte ihre gesamten verfügbaren Einkünfte – oder mehr – monatlich für die reine Lebenshaltung werden einsetzen müssen“, sagte Schleweis Ende August in einem Interview mit der Welt am Sonntag. Demnach wären ganze 24 Mio. Haushalte in der Bundesrepublik „nicht mehr sparfähig“.
2021 konnten oder wollten nur 15% nichts zurücklegen
Wie dramatisch eine solche Entwicklung wäre, zeigt ein Blick auf die Daten aus dem Vorjahr: Bei der Umfrage für das Vermögensbarometer 2021 des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes sagten nur 15 Prozent der Befragten, sie würden nicht sparen oder könnten nicht sparen. Das Vermögensbarometer für 2022 veröffentlicht der Deutsche Sparkassen- und Giroverband erst Ende Oktober. Der Sparkassen- und Giroverband hat sich für seine Prognose deswegen an verschiedenen amtlichen Statistiken orientiert, wie ein Sprecher gegenüber Finanzfluss erklärt.
„Die Berechnung basiert auf der aktuellen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe und der laufenden Wirtschaftsrechnung des Statistischen Bundesamtes, die Aufschluss über Einnahmen und Ausgaben privater Haushalte geben“. So sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass angesichts der steigenden Preise bis zu 60% der deutschen Haushalte bald nicht mehr in der Lage sein könnten, aus dem laufenden Einkommen Geld beiseitezulegen. „Es kommt jetzt darauf an, die rapiden Preissteigerungen abzubremsen“. Zuletzt lag die Inflationsrate im August bei 7,9% im Vergleich zum Vorjahresmonat.
Die Hälfte unserer Kundinnen und Kunden braucht ihre kompletten Einnahmen für die Deckung der monatlichen Ausgaben.Peter Schneider, Sparkassen-Präsident Baden-Württemberg
Dass 2022 zur Herausforderung für Sparerinnen und Sparer werden würde, hat sich schon früh abgezeichnet. Bereits im Januar gaben in einer repräsentativen Online-Umfrage des Marktforschungsinstituts Yougov 22% der Befragten an, nichts mehr sparen zu können. Das Institut hatte die Umfrage im Auftrag der Postbank durchgeführt und insgesamt 2.102 Menschen ab 18 Jahren befragt. Im Sommer 2022 dann schlug der baden-württembergische Sparkassen-Präsident Peter Schneider Alarm: „Die Hälfte unserer Kundinnen und Kunden braucht ihre kompletten Einnahmen für die Deckung der monatlichen Ausgaben“, zitierte das Handelsblatt im Juli den Verbandsvorsteher, der eher pessimistisch in die Zukunft blickte: Viele Menschen dürften die gestiegenen Energiekosten auch erst kommendes Jahr zu spüren bekommen, sagte Schneider der Zeitung.
Sparquote könnte auf 11% sinken
Auch die Sparquote, also der prozentuale Anteil der Sparsumme am Nettoeinkommen, dürfte in diesem Jahr sinken. Durchschnittlich 15% des Einkommens hat ein deutscher Privathaushalt im Jahr 2021 auf die Seite gelegt. Die Deutschen konnten vergangenes Jahr damit so viel sparen wie selten – aber immer noch etwas weniger als im Coronajahr 2020, als es sogar über 16% waren.
Solche Spitzenwerte lassen sich aber auch damit erklären, dass die Deutschen in den vergangenen zwei Jahren weniger Geld ausgegeben haben. Pandemie und Lockdown haben nicht nur die Kauflust geschmälert, sondern auch die Reisefreudigkeit der Deutschen, Kinos und Theater waren geschlossen, zeitweise auch der Einzelhandel und Restaurants. 2020 sind die Preise durch die Coronapandemie außerdem in vielen Branchen eingebrochen, unter anderem durch die Senkung der Mehrwertsteuer. Energieprodukte etwa kosteten 2020 fast 5% weniger als 2019. Das ist ein Grund, warum die Inflationsrate bereits 2021 auf 3,1% gestiegen ist.
Für 2022 existieren noch keine belastbaren Zahlen zur Sparquote, der Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken hat aber schon eine Schätzung abgeben: „Für 2022 erwarten wir eine Rückkehr auf das Vorkrisenniveau von elf Prozent“, sagte Vorstandschef Andreas Martin Ende August der Welt am Sonntag.
Zuflüsse von Kundeneinlagen um 98% eingebrochen
Während die Zuflüsse von Kundeneinlagen im Jahr 2022 bei den Sparkassen noch 25 Mrd. Euro betrugen, sind diese nach Informationen des Handelsblatts im ersten Halbjahr 2022 auf 600 Mio. Euro zurück gegangen. Das entspricht einem Rückgang von etwa 98%.
Fast 40% ohne „nennenswertes Vermögen“
Doch lässt sich aus der Höhe der Kundeneinlagen noch nicht darauf schließen, wie gut oder schlecht es finanziell um den einzelnen Privathaushalt bestellt ist. Fakt ist, dass viele Menschen in der Bundesrepublik am Ende des Monats rein gar nichts sparen und damit nichts für ihre private Altersvorsorge tun können. Eine besorgniserregend hohe Zahl, die Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), jedoch nicht überraschend findet. Fast 40% der Deutschen hätten „kein nennenswertes Vermögen“, schrieb der Ökonom Ende August in der Zeit. Diese Menschen hätten also auch in der Vergangenheit nie systematisch sparen können. Es seien deswegen auch gerade die Menschen mit niedrigem Einkommen, die der Inflation nun schutzlos ausgeliefert seien, so Fratzscher: „Sie erfahren individuell eine drei- bis viermal höhere Inflation, haben wenig Einkommen, um diese Teuerung auszugleichen, und verfügen zudem über keine Ersparnisse, auf die sie zurückgreifen können.“
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Deutschland ist nur vermeintlich Sparweltmeister
Tatsächlich war die Zahl der Haushalte ohne jegliches Vermögen schon vor Pandemie, Ukraine-Krise und Inflation in Deutschland beachtlich hoch.
Laut einer Studie der ING wies Deutschland 2017 und 2018 im Vergleich mit 13 weiteren europäischen Staaten den zweithöchsten Anteil an Haushalten ohne jegliche Ersparnisse auf. Knapp 31% der deutschen Haushalte verfügten also über keine Rücklagen. Nur in Rumänien lag der Anteil noch höher.
Gerade jetzt, wo das Reisen wieder möglich ist und die Flug- und Hotelkosten ebenfalls angezogen haben, veranlasst das fehlende Vermögen scheinbar viele Deutsche zum Schulden machen. Denn ganze 14% der Bundesbürger sind bereit, ihren Urlaub auf Pump zu kaufen, indem sie einen Dispokredit aufnehmen – oder anders gesagt: ihr Konto überziehen. Das hat eine aktuelle Yougov-Umfrage im Auftrag von Check24 ergeben. Ein solcher Kredit kann die Schuldner im Jahr bis zu 14% an Zinsen kosten.
Kommentare (12)
J
Johannes
sagt am 13. November 2022
Es entspricht trotzdem nur einem Rückgang um 95,2% (statt 98), weil man ja Jahressumme mit Jahressumme vergleichen muss, nicht Jahressumme mit Halbjahreswert.
A
Alex
sagt am 22. September 2022
Ich arbeite in Teilzeit, entsprechend ist mein Gehalt nicht so hoch. Zum Glück habe ich immer auf niedrige Fixkosten geachtet (kleine Wohnung, nur die nötigsten und günstigen Versicherungen, Prepaid, keine Unterhaltungs-Abos). Man könnte ja auch mal arbeitslos oder krank werden - das war meine Überlegung. Nun ist es das Gas. Der Gaspreis hat sich bei mir - trotz massiver Einsparmaßnahmen - verdreifacht. Würde sich dieser neue 3-fach-Preis nochmal verdoppeln, würde es eng, da wären alle monatlichen Gelder weg. Ersparnisse habe ich auch noch, aber da müsste ich dann irgendwann an meine Altersrücklagen.
E
Enrico U.
sagt am 30. September 2022
Ich arbeite in Teilzeit, entsprechend ist mein Gehalt nicht so hoch.....Man könnte ja auch mal arbeitslos oder krank werden - das war meine Überlegung...... 😎✌️
M
Mustermann
sagt am 21. September 2022
Wer in den letzten Jahren bescheiden gelebt hat, der hat heute und morgen keine finanziellen Probleme. Bescheidenheit ist der Schlüssel zum Erfolg.
D
Durchschnittsb
sagt am 17. September 2022
Am 02.09. wurde noch festgestellt, dass die Deutschen reicher sind als gedacht, am 15.09. liegt der Schwerpunkt schon darauf, dass wir bald nichts mehr sparen können. Mal schauen, wie es weiter geht...
M
Max Mustermann
sagt am 17. September 2022
Naja ich finde die Frage nach "Ersparnisse" auch irgendwie unspezifisch. Ich würde darunter lediglich Sparbuch und Girokonto/ Tagesgeld verstehen. Investitionen wie Aktien/ Immobilien fallen da imo nicht drunter. Jemand der zB seine ganze übrige Kohle in die Abzahlung der Immobilie steckt sagt auch "nein, habe keine Ersprnisse"- nur ist das dann selbst so gewählt.
N
NL
sagt am 22. September 2022
Zumal man auch seine Ersparnisse nicht immer bei einer einzigen Bank liegen hat. Bei der einen Bank bin ich quasi "arm" und bei der anderen Bank habe ich 20.000€ liegen. Nur als Beispiel. Viele Private-Investoren haben am Ende auch nur den Notgroschen bei der Bank liegen und investieren den Rest.
S
Sven
sagt am 16. September 2022
Das Problem ist die finanzielle Bildung bei uns im Land. Wäre die vorhanden, würden die Zahlen anders aussehen und die Regierung nicht so wie jetzt aussehen. Gibt's ein Schulfach das sich ernsthaft mit finanzieller Bildung beschäftigt? Leider nein... Das ist dann ungeachtet der anderen Faktoren wie Krieg, Corona usw. das Ergebnis. Urlaub auf Pump usw. 🙈
M
Markus
sagt am 16. September 2022
Vielleicht liegt es auch daran, dass die klassische Verwaltung von Kundengeldern, bei der Sparkasse relativ unattraktiv ist? Zumindest habe ich mein Depot und meine Kryptos auch nicht bei der Sparkasse, obwohl mein Konto da ist. Somit habe ich bei der Sparkasse auch keine Ersparnisse liegen. Andere haben sich in der Pandemie bestimmt auch mehr mit Finanzanlagen beschäftigt und schichten Geld um.
M
Mannigfalter
sagt am 15. September 2022
"Nach Informationen des Handelsblatts sollen diese im ersten Halbjahr 2022 nur noch knapp 600 Millionen Euro an Kundengeldern verwaltet haben – und damit fast 98% weniger als im Vorjahr. 2021 waren es 25 Mrd. Euro." Hä, was ist das für ein Blödsinn?
A
Anonym
sagt am 16. September 2022
Moritz das kann nicht sein, das deutet eher daraufhin, das die zahnnehme der Einlagen um 98% eingebrochen ist
Markus Schmidt-Ott
Autor
sagt am 16. September 2022
Ja, es ist so, wie „Anonym“ sagt: Die Zunahme der Einlagen ist um 98% eingebrochen. Wir haben das etwas weniger missverständlich umformuliert. Es dauert aber eine Weile, bis die neue Version live geht.
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