Wird 2023 zur Steuerfalle für Immobilienerben?
Was können ein paar unschuldige Nachkommastellen schon anrichten? So könnte man naiv fragen bei einem Blick ins Jahressteuergesetz für 2023, das die Bundesregierung in diesem Herbst vorgelegt hat – und das unter anderem veränderte Parameter bei der Bewertung von Immobilien vorsieht. Wo im letzten Jahr vielleicht noch eine 0,9 stand, erscheint jetzt eine 1,5. Ein kleiner, aber entscheidender Unterschied, der etlichen Immobilien-Erben in Deutschland einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Denn sollte das Gesetz tatsächlich durchgewunken werden, wird bei manch einer Immobilie ab dem 1. Januar das Dreifache, Vierfache oder gar Fünffache an Erbschaftssteuer anfallen. Das ist durchaus gewollt. Denn Sinn und Zweck der Anpassung ist es, die Besteuerung von Immobilien an die Realität anzupassen, will heißen: an die rasanten Preissteigerungen der vergangenen Jahre. Was das neue Gesetz genau vorsieht, warum es für Erben von Innenstadt-Immobilien so richtig teuer werden kann und wie sich die Extrakosten umgehen lassen.
Steuersätze bleiben gleich
Wer eine Immobilie erbt, muss schon jetzt teilweise tief in die Tasche greifen. Zwar genießen vorwiegend direkte Verwandte sehr hohe Freibeträge. Entferntere Verwandte dagegen, also etwa Nichten und Neffen, Stiefeltern oder geschiedene Lebenspartner, müssen eine geerbte oder geschenkte Immobilien beinahe vollständig versteuern lassen, die Steuerlast fällt also entsprechend hoch aus. Gleiches gilt für sehr teure Immobilien, deren Wert den Freibetrag um ein Vielfaches übersteigt. So kommt es, dass sich viele Erben oder Beschenkte gezwungen fühlen, Omas Einfamilienhaus direkt zu verkaufen, weil sie die Steuer ansonsten in den Ruin treiben würde. Ebendieses Dilemma würde die geplante Neuerung verschärfen. Denn wenn es das Gesetz jetzt durch Bundestag und Bundesrat schafft, würden etliche Immobilien in Deutschland so stark in ihrem Wert steigen, dass die Erbschaftssteuer um teils sechsstellige Beträge in die Höhe katapultiert würde.
Häuser eher betroffen als Wohnungen
Die geplanten Änderungen betreffen nicht alle Immobilien, sondern nur solche, die nach dem sogenannten Sachwertverfahren bewertet werden. Das ist eine von mehreren Möglichkeiten, den realistischen Verkaufspreis einer Immobilie zu schätzen und kommt dann zum Einsatz, wenn es keine oder zu wenig Vergleichswerte gibt. Normalerweise orientieren sich die Gutachten nämlich daran, zu welchem Preis ähnliche oder auch baugleiche Immobilien in der Nachbarschaft zuletzt verkauft wurden. Zur Bewertung von Eigentumswohnungen in der Innenstadt, die Teil eines großen Mehrfamilienhauses sind, kommt das Sachwertverfahren also eher selten zur Anwendung, stattdessen wird mit anderen Objekten verglichen. Ganz anders auf dem Land: Hier kann das nächstgelegene Haus schon mal 20 Autominuten entfernt sein.
520.000€ statt 400.000€: Neuer Faktor steigert Immobilienwert erheblich
Konkret will die Bundesregierung bei der Bewertung nach dem Sachwertverfahren an drei Stellschrauben drehen. Eine davon ist der sogenannte Marktanpassungsfaktor, auch bekannt als Sachwertfaktor. Mit dieser Zahl soll später der vorläufige Sachwert einer Immobilie multipliziert werden, um auf einen endgültigen Wert zu kommen. Seine Höhe soll aussagen, für wie viel Prozent vom errechneten Sachwert die Immobilien in der Region im Schnitt verkauft werden. Ein Marktanpassungsfaktor von 0,7 sagt aus, dass andere Immobilien durchschnittlich für 70% des vorher berechneten Sachwerts den Besitzer wechseln. Wie hoch der Marktanpassungsfaktor ausfällt, hängt auch von der Art der Immobilie sowie dem Bodenwert des Grundstücks pro Quadratmeter ab. Je teurer der Quadratmeter, desto höher liegt in aller Regel auch der Sachwertfaktor. Wohingegen er umso kleiner ausfällt, je höher der Gesamtwert ist. Ab kommendem Jahr nun sollen die Marktanpassungsfaktoren insgesamt steigen. Aus einem Sachwertfaktor von 0,5 könnte dann beispielsweise der Faktor 1,5 werden – oder aus dem Faktor 0,9 der Faktor 1,3. Der höchste Sachwertfaktor für Ein- und Zweifamilienhäuser beläuft sich laut Tabelle im Gesetzesentwurf auf 1,8.
Wurde einer Wohnung bislang beispielsweise ein Sachwert von 400.000€ attestiert und ein Sachwertfaktor von 1,0 zugrunde gelegt, würde eine Erhöhung auf 1,3 den Wert bereits auf 520.000€ schnellen lassen (400.000 x 1,3).
Neuer Regionalfaktor in besonders teuren Gegenden
Für ausgesuchte Regionen, in denen die Preise in der Vergangenheit besonders stark gestiegen sind, möchte der Gesetzgeber außerdem den sogenannten Regionalfaktor berücksichtigen. Dieser bildet das Baukostenniveau in einer Region ab und liegt umso höher, je weiter die Baukosten über dem bundesweiten Durchschnitt liegen. In Hamburg etwa beläuft sich der Regionalfaktor aktuell auf 1,75 und in München auf 1,52. In manch einer weniger nachgefragten Region kann der Regionalfaktor aber auch 2023 bei 1,0 liegen.
Nutzungsdauer soll von 70 auf 80 Jahre steigen
Der zweite Faktor, an dem die Bundesregierung dreht, ist die Gesamtnutzungsdauer von Immobilien, also die theoretische Lebensdauer einer Immobilie. Bislang geht die geht man davon aus, dass eine Immobilie 70 Jahre genutzt wird. Ab 2023 soll die potenzielle Lebensdauer für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie für Eigentumswohnungen und Grundstücke auf 80 Jahre erhöht werden, wie es auf Seite 127 des Jahressteuergesetzes heißt. Damit sinkt die sogenannte Alterswertminderung, also der Betrag, um den der Wert des Hauses wegen Verschleiß und Abnutzung im Laufe der Jahre gedrückt wird. Eine Immobilie würde ab 2023 also weniger an Wert verlieren.
Wie stark die Nutzungsdauer den Preis drückt, also die Alterswertminderung, lässt sich wie folgt berechnen:
Um anschließend einen Euro-Betrag zu ermitteln, wird die prozentuale Alterswertminderung zusätzlich mit dem Sachwert multipliziert.
Angenommen, die Herstellungskosten eines Vergleichsgebäudes belaufen sich auf 400.000€, die Immobilie ist 30 Jahre alt und es wird von einer Gesamtnutzungsdauer von 70 Jahren ausgegangen (wie bislang). Es bleiben also 40 Jahre Restnutzungsdauer. Die Alterswertminderung würde im Jahr 2022 also 171.200€ betragen.
Wie hoch wäre die Wertminderung ab Januar 2023, wenn eine Lebensdauer von 80 Jahren herangezogen wird? In dem Fall würde die Immobilie nur um 150.000€ an Wert verlieren. Es bliebe also ein etwas höherer Gebäudesachwert.
Von 800.000€ auf 1,6 Mio. €
Welche Auswirkungen hat es nun auf die Bewertung einer Immobilie, wenn die Bundesregierung an allen drei Stellschrauben dreht? Dafür muss der endgültige Sachwert unter Berücksichtigung von Sachwertfaktor, Regionalfaktor und Alterswertminderung errechnet werden. Bleiben wir dazu bei dem Beispiel von dem 400.000€ Haus, das 30 Jahre alt ist – und nehmen wir an, dass es in der Münchener Innenstadt steht. Das Beispielhaus in München wäre mit den neuen Parametern ab kommendem Jahr mehr als doppelt so viel wert wie heute.
Haus in München | 2022 | 2023 |
---|---|---|
Herstellungswert | 400.000€ | 400.000€ |
- Alterswertminderung | -171.200€ | -150.000€ |
Gebäudesachwert | 228.800€ | 250.000€ |
+ Bodenwert | 600.000€ | 600.000€ |
= Vorläufiger Sachwert | 828.800€ | 850.000€ |
x Sachwertfaktor | 1,0 | 1,3 |
= Endgültiger Sachwert | 828.800€ | 1.105.000€ |
x Regionalfaktor | - | 1,52 |
Gesamtwert | 828.800€ | 1.679.600€ |
Steuerlast wäre viermal so hoch
Doch was bedeutet das für die Steuerlast der Erben? Das wiederum hängt vom Verwandtschaftsgrad ab. Während Ehe- und Lebenspartner beispielsweise erst Vermögen über 500.000€ versteuern müssen, liegt der Freibetrag für erbende Kinder bei 400.000€ pro Kind. Bei Enkelkindern und Urenkeln sind es 200.000€.
Relevant ist auch der Steuersatz, der umso höher ausfällt, je wertvoller die Erbschaft ist. Bei vererbten Vermögen unter 300.000€ etwa beträgt der Steuersatz in der Steuerklasse I elf Prozent. Bei bis zu sechs Mio. Euro sind es 19%.
Gehen wir mal davon aus, dass es sich bei dem Erben um den Lebenspartner handelt, also 500.000€ Freibetrag gelten. Weil die Immobilie nun doppelt so viel wert wäre, wäre der Freibetrag entsprechend schneller ausgeschöpft, außerdem würde sich der Steuersatz von 15% auf 19% erhöhen. Insgesamt beliefe sich die Erbschaftssteuer nunmehr auf 224.124€.
Haus in München | 2022 | 2023 |
---|---|---|
Wert der Immobilie | 828.800€ | 1.679.600€ |
Freibetrag | 500.000€ | 500.000€ |
Zu versteuern | 328.800€ | 1.179.600€ |
Steuersatz | 15% | 19% |
Erbschaftssteuer | 49.320€ | 224.124€ |
Doch nicht nur Millionenerben, die eine Stadtvilla in Schwabing vermacht bekommen sollen, müssen sich mit den geplanten Änderungen bei der Erbschaftssteuer befassen. Selbst wenn die zu verschenkende Immobilie bislang vergleichsweise günstig war und die Erben überzeugt waren, weniger als den Freibetrag zu erben, könnte sich das durch die neue Bewertungsmethode nun ändern.
Wie lassen sich die Extrakosten umgehen?
Die gute Nachricht für designierte Erben ist: Es gibt Mittel und Wege, die geplanten Mehrkosten zu umgehen oder wenigstens zu reduzieren. Ist der Erbfall noch nicht eingetreten und liegt mutmaßlich in ferner Zukunft, könnte eine Schenkung eine Alternative sein. Dabei wird die Schenkung über einen längeren Zeitraum gestreckt, also tranchenweise vererbt, um die geltenden Freibeträge mehrmals auszunutzen. Möglich ist das alle zehn Jahre. Bei einer 700.000€ teuren Immobilien könnte die Schenkung an die eigenen Kinder also theoretisch auf 15 Jahre gestreckt und der Freibetrag von 400.000€ zweimal ausgenutzt werden. Am Ende müsste der Erbe oder die Erbin überhaupt keine Schenkungssteuer bezahlen.
Bleibt so viel Zeit vermutlich nicht mehr, könnten der Erblasser und die Erben auch versuchen, den Wert der Immobilie künstlich zu senken – beispielsweise, indem sie ein lebenslanges Wohnrecht für die Immobilie vereinbaren. So könnten sich beispielsweise die Schenkenden zu Lebzeiten in Absprache mit den Beschenkten das Recht sichern, bis zu ihrem Tod in der Immobilie zu leben. Denkbar wäre auch ein lebenslanges Nießbrauchrecht: Dabei sichern sich die Bewohner zusätzlich das Recht, die Immobilie auch nach der Schenkung noch zu vermieten und die Einkünfte selbst einnehmen zu können. Solche Klauseln im Vertrag können den Verkehrswert einer Immobilie teilweise erheblich reduzieren und damit auch die Steuerlast für die Erben.
Besser nichts übereilen
Eine eher schlechte Idee wäre es, jetzt aus schierer Panik schnell noch eine Schenkung einzuleiten, um bloß die geplanten Steuererhöhungen zu umgehen. Abgesehen davon, dass die wenigsten Notare so unausgelastet sind, dass sie binnen eines Monats derart große Vorhaben realisieren könnten, will eine Schenkung oder eine Erbschaft gut geplant sein. Das Aufsetzen eines Testaments kostet nicht nur viel Zeit, sondern ist außerdem voller Fallstricke, die schwere Folgen haben können. Etwas überstürzen sollten Erblasser hier also nicht.
Sind höhere Steuern fair?
Ausgerechnet jetzt, wo sich ohnehin nur noch die wenigsten ein Eigenheim leisten können und die Preise scheinbar unaufhaltsam steigen, sollen also auch noch die Steuern auf Immobilienerbschaften in die Höhe gehen. Das beste Timing hat sich die aktuelle Regierungskoalition vielleicht nicht für ihre Neuerungen ausgesucht. Doch wann ist schon mal der richtige Zeitpunkt für eine Steuererhöhung?
Man kann die neuen Pläne der Bundesregierung trotzdem ungerecht finden – je nachdem, aus welchem Blickwinkel man die Pläne betrachtet. Wenn Oma ihren Enkelkindern das Haus vererben möchte, das bereits mehrere Generationen überlebt hat, erscheint so eine Verfünffachung der Schenkungssteuer doch reichlich unmenschlich. Dem Millionenerben mit Villa auf den Bahamas würden die meisten die Extrakosten wahrscheinlich schon eher gönnen.
👉
Kommentare (3)
H
Hendrik
sagt am 02. Dezember 2022
Das ist gelinde gesagt Scheiße. Das Haus wurde mit VERSTEUERTEM Geld gebaut. Z.T. wurde ein ganzes Leben abbezahlt, auch um sich abzusichern für eine evtl. kleine Rente. Das Haus ist eigentlich ein Asset zur Vorsorge. Mein Empfinden wird hier massiv gestört von "Umverteilern", die z.T. noch nie gearbeitet haben und z.T. keine Ausbildung haben. Eigentlich sollte eine Doppelbesteuerung nicht vorkommen. Danke an die unfähigste Regierung seit 1945. Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Willi Brand alle würden sich um Grabe umdrehen, wenn Sie sehen was in Deutschland mit seinem Steuerrecht passiert. Ich habe schon viele Kriesen gesehen, aber keine die die eigene Regierung wissentlich verursacht hat. Das ist m.M.n Betrug an der arbeitenden Bevölkerung. Das Leistungsprinzip hat keinen Wert mehr.
S
Sven
sagt am 02. Dezember 2022
Hi, die Tipps sind ganz okay, aber von einem Finanzportal hätte ich doch ein bißchen mehr erwartet. Da gibt es nämlich durchaus andere Möglichkeiten das ganze zu umgehen oder Kombinationsmöglichkeiten. Eine wäre, das Haus "abzukaufen" zu einem realistischen Preis vom Vererber und das Darlehen Tilgungsfrei zu stellen, dafür nur die Zinsen zu zahlen. Das kombiniert man mit dem Nießbrauchrecht und einem Mietvertrag zu Ortsüblichen Konditionen. Vorteil Nr. 1: Immobiliengeschäfte unter Verwandten 1. Grades sind Grunderwerbssteuerfrei, es fallen nur Notar- und Grundbuchkosten an. Vorteil Nr. 2: Das langwierige Erbprozedere bei Immobilien wird umgangen. Vorteil Nr. 3: Durch den Zins wird die Miete quasi "ausgeglichen", der Zins kann allerdings bei der Einkommenssteuer von den Mieteinnahmen wieder abgesetzt werden. Ebenso alle anderen Kosten. Vorteil Nr. 4: Ich generiere eine neue AFA von 2% auf den Kaufpreis für 50 Jahre (meist ist die AFA schon durch im Erbfall). Das im groben. Sicher gibt es Feinheiten und auch die Möglichkeit das ganze ab einem Gewissen Immobilienwert in eine VVGmbH zu stecken und einfach als Nachfolger des Geschäftsführer-Gesellschafters den Erben zu bestimmen. Es gibt soviele Möglichkeiten und Ihr bleibt bei der "Standard"-Kost...
J
John
sagt am 12. Dezember 2022
In dem Beispiel gibt der Vererber das Darlehen? Erlischt ggf. dann der Darlehensanspruch aufgrund Konfusion?
Kommentar schreiben