ESG – Enttäuschung oder falsche Erwartungen?
Anderer Fokus an den Finanzmärkten
Der Tenor an den Finanzmärkten hat sich geändert: Die Corona-Pandemie, Lieferkettenengpässe und der Krieg in der Ukraine waren nur ein paar Krisen der letzten Jahre, die in den Fokus der Aufmerksamkeit und Besorgnis getreten sind. Insbesondere in den USA erfährt ESG immer mehr Gegenwind von konservativen Medien und Politikern, sodass sich dort die Euphorie um ESG auch eher gelegt hat. Die hohen Inflationsraten und steigenden Zinsen haben zusätzlich für Unruhe an den internationalen Finanzplätzen gesorgt. Plötzlich standen nicht mehr steigende Treibhausgas-Emissionen, sondern erhöhte Zinsen und Preise sowie geopolitische Spannungen im Vordergrund.
Hohe Zinsen und gestiegene Preise machen Investitionen teurer und damit unattraktiver – eine schlechte Voraussetzung für grüne Themen wie erneuerbare Energien und nachhaltige Technologien, deren Entwicklung und Ausbau immense Investitionen erfordern. Stattdessen erfreuen sich Ölkonzerne und Betreiber von Atomkraftwerken wieder steigender Beliebtheit, nachdem das fossile und atomare Zeitalter von vielen schon abgeschrieben war.
Auch Rüstungsunternehmen erleben einen Boom, getrieben von Kriegen und der zunehmenden Angst von geopolitischen Eskalationen. Zuvor schienen Rüstungsunternehmen unvereinbar mit ESG, mittlerweile werden auch ESG-ETFs mit Waffenherstellern aufgerüstet. Wer als Privatanleger in ESG-ETFs investiert, um sich von kontroversen Themen fernzuhalten und für ein sauberes Gewissen zu sorgen, könnte sich in Anbetracht dessen desillusioniert fragen: Waren die Erwartungen an ESG zu hoch?
Ist ESG die große Enttäuschung für Privatanleger?
Es gibt diverse Gründe für Privatanleger, ESG ins persönliche Portfolio zu integrieren. Sei es die Hoffnung darauf, dass ESG tatsächlich etwas Positives bewirkt, oder einfach um ein reines Gewissen beim Blick ins Depot zu haben. Im Rahmen des ESG-Hypes 2020 und 2021 dürften einige auch auf eine bessere Performance dank ESG spekuliert haben. Doch kann ESG diese Erwartungen erfüllen, oder werden ESG-Investoren bitter enttäuscht?
Die Hoffnung, dass mit ESG alles besser wird
Auf den ersten, oberflächlichen Blick könnte man meinen, ESG bewirke aktiv etwas Gutes. Doch so einfach ist es nicht: Denn die Börse ist ein Sekundärmarkt; das Geld, das du für den Kauf einer Aktie bezahlst, fließt nicht an das Unternehmen, sondern an den Verkäufer des Wertpapiers (außer beim IPO). Ein Unternehmen für seine Nachhaltigkeit zu belohnen, indem man seine Aktie kauft, funktioniert nicht. Auch der Verkauf einer nicht ESG-konformen Aktie sorgt vielleicht für ein sauberes Gewissen beim Blick ins Depot – aber der Umwelt oder der Menschheit ist damit nicht geholfen.
Die verkaufte Aktie wandert einfach ins Portfolio eines anderen Investors, die Transaktion an der Börse hat keine direkte Auswirkung auf das Unternehmen, dessen Aktivitäten und Nachhaltigkeit. Aktien sind eben kein Impact Investing, es gibt keine direkte Reaktion, keinen positiven Einfluss. Nur weil du einen ESG-ETF statt konventionellem ETF kaufst oder eine schmutzige Öl-Firma in deinem Depot durch einen Produzenten sauberer Energien ersetzt, sinken die tatsächlichen CO₂-Emissionen nicht.
ESG für das gute Gewissen beim Investieren
ESG Screened, ESG Enhanced, Socially Responsible Investing, Paris Aligned, Low Carbon – wenn man so durch die Liste nachhaltiger ETFs scrollt, klingt es, als könne man sorgenfrei mit grünem Gewissen investieren. Aber auch hier lauert die Gefahr der Enttäuschung der auf Nachhaltigkeit bedachten Anleger: Denn bei ETFs, die einen ESG-Filter anwenden, werden zwar einige Aktien ausgeschlossen, im Vergleich zum nicht nachhaltigen Basis-Index überschneiden sich aber dennoch viele Positionen.
Abhängig von der Strenge des ESG-Filters finden auch Produzenten fossiler Energie, Rüstungsfirmen oder Spirituosenhersteller ihren Platz im ETF – Themen, die sich für viele eher nach Sin Stocks als ESG anhören. Wer also glaubt, mit einem ESG-ETF einen Sicherheitsabstand zu Kontroversen wie Waffen und fossilen Brennstoffen zu gewinnen, könnte beim Blick auf die Positionen in nachhaltigen ETFs von Gewissensbissen geplagt werden.
Je nach Ausrichtung des eigenen moralischen Kompasses werden diese Skrupel ergänzt durch Fragen wie: Passen die ESG-Kriterien überhaupt zu deiner persönlichen Auffassung von Nachhaltigkeit? Wo ziehst du die Grenze zwischen nachhaltig und verwerflich? Was ist deine Meinung zu konfliktgeladenen Themen wie Atomenergie oder Waffenproduzenten? Woher sollen die Rohstoffe für Windkraftanlagen, Solaranlagen und Batterien kommen? Wie sieht es aus mit Firmen, die heute noch keinen Nachhaltigkeitspreis gewinnen würden, aber Besserung geloben?
Je strenger deine eigene Auffassung von Nachhaltigkeit ist, desto schwieriger wird es nur anhand von ESG ein Depot für ein gutes Gewissen zusammenzustellen. Letztlich müssen bei der Wahl eines nachhaltigen ETF Kompromisse eingegangen werden. Wer auch Einzelaktien im Depot hat, kann sich zumindest bewusst für oder gegen bestimmte Unternehmen entscheiden und so die persönliche Interpretation von Nachhaltigkeit ausleben. Dabei sollte allerdings nicht nur auf den Aspekt der Nachhaltigkeit geachtet werden, sondern auch auf andere Auswahlkriterien, Qualitätsmerkmale und eine ausreichende Diversifikation.
Bringt ESG mehr Rendite?
In zahlreichen Studien wird untersucht, ob die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten einen Einfluss auf die Performance hat. Die meisten Studien kommen zum Ergebnis, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen nachhaltigen und konventionellen Investment-Returns gibt. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man verschiedene ETFs vergleicht: Der klassische MSCI World hat in den vergangenen 5 Jahren eine Rendite von 13,2% p.a. geliefert, bei der Variante ESG Enhanced waren es 12,8% und bei ESG Screened 13,7%.
Anders sieht es bei einstigen Hoffnungsträgern wie Wasserstoff aus, die nach ihrem Höhenflug 2021 Anlegern seitdem wenig Anlass zur Freude geboten haben. Auch mit Themen wie Clean Energy oder Ernährung der Zukunft hat man sich keine Performance-Booster ins Depot gepackt, wenn man auf den Hype aufgesprungen ist und vor ein paar Jahren Themen-ETFs gekauft hat:
Chartvergleich von Themen-ETFs mit dem MSCI World.
Solange man einer diversifizierten Anlagestrategie treu geblieben ist und sich nicht mit abgestürzten Themen-ETFs verzockt hat, hat der ESG-Filter in den vergangenen Jahren nur zu einem marginalen Performance-Unterschied im Vergleich zum konventionellen ETF geführt. Wer auf eine ESG-getriebene Outperformance gehofft hat, mag zwar etwas enttäuscht sein, kann sich aber dennoch mit einer ansehnlichen Rendite trösten.
ESG-Analyse statt ESG-Investing
Doch wo Rendite winkt, lauern auch Risiken – weshalb insbesondere dieser Aspekt für viele ESG-Pioniere von besonderer Bedeutung ist: Indem Aspekte wie Umwelt, Soziales und Unternehmensführung in die Risiko-Analyse einbezogen werden, wird ein umfassenderes Bild geschaffen. Dank ESG fließen mehr Risikofaktoren mit in die Bewertung ein – insbesondere Risiken, die sich zukünftig aus klimatischen Veränderungen ergeben können. Die Berücksichtigung von Risiken und Zukunftsaussichten ist beim Investieren essenziell – denn an der Börse wird bekanntlich die Zukunft gehandelt.
Folgendes Zitat aus einem Paper mit dem provokanten Titel „The End of ESG“ verdeutlicht, wie eng ESG und Investieren verwoben sind: „Considering long-term factors when valuing a company isn’t ESG investing; it’s investing“ (Edmans, 2023) („Die Berücksichtigung langfristiger Faktoren bei der Bewertung eines Unternehmens ist kein ESG-Investing, es ist Investing“.) ESG ist also keine eigene Investment-Disziplin, sondern integraler Bestandteil der Aktienanalyse.
Nicolai Tangen, CEO der Norges Bank Investment Management und somit Leiter des norwegischen Staatsfonds, drückt es in einer Reportage der Financial Times ähnlich aus: „ESG is not about doing good. It’s about being a long-term, sensible investor.“ („Bei ESG geht es nicht darum, Gutes zu tun. Es geht darum, ein langfristiger, vernünftiger Investor zu sein.“).
Aus den beiden Zitaten ergibt sich eine wesentliche Eigenschaft von ESG: Der Einbezug von ESG-Faktoren dient als Risiko-Minimierung, und nicht als Allheilmittel gegen Klimakrise und soziale Missstände. Aus dieser Sicht kann ESG so verstanden werden, dass es darum geht, den aktuellen Zustand zumindest nicht zu verschlimmern und sich für die Zukunft zu wappnen. Eine direkte Verbesserungswirkung auf Umwelt oder Menschheit ist damit allerdings nicht gegeben.
Für die Zukunft gerüstet
Auf persönlicher Ebene ist ESG weniger eine Frage von Regularien und strengen Filtern bei ETFs, sondern eher von Weitblick und Wohlbefinden. Wenn du ein besseres Gewissen beim Investieren hast, weil dein ETF ESG-konform ist, spricht nichts dagegen, sich für einen ETF mit Nachhaltigkeits-Filter zu entscheiden – solange dabei nicht die Investment-Basics wie ausreichende Diversifikation vernachlässigt werden. Je strenger der Filter, desto mehr kontroverse Unternehmen werden ausgeschlossen, aber desto stärker kann auch die Diversifizierung leiden.
Nur solltest du auch deine Erwartungen an ESG anpassen: Es gibt keinen unmittelbaren Impact, keine prognostizierbare Outperformance, und auch deine persönliche Interpretation von ESG und Nachhaltigkeit mag von der Auslegung im ETF abweichen. Dein gutes Gewissen kann beim Blick in die enthaltenen Unternehmen getrübt werden.
Aber ESG kann helfen, mehr Risiko-Faktoren zu berücksichtigen und dein Portfolio so für die Zukunft zu wappnen. Entscheidend ist eine langfristige Denkweise. Und auch hier finden Nachhaltigkeit und Investieren wieder zusammen: Ein langfristiger Blickwinkel ist bei beiden Disziplinen wichtig.
Kommentare (5)
N
Nico Litschke
sagt am 18. Oktober 2024
Die Einschätzung, mit ESG-Faktoren ließe sich das Risiko reduzieren, halte ich für höchst fraglich, insbesondere wenn wir a) Unternehmen, b) Investoren und c) die Gesellschaft unterscheiden. a) Unternehmensrisiko: ESG-Ausrichtung ist redundant zu Unternehmertum. Unternehmer, insb. in KMU oder Familienunternehmen, haben typischerweise ein inhärentes Eigeninteresse an einem nachhaltigen und langfristigen Geschäft. ESG ist in dem Sinne nichts Neues. Aber, ESG führt einen enormen Papiertiger ein. Das verschärft Großunternehmen einen Vorteil: Die können sich die Bürokratie leisten. Kleinere Unternehmen haben das Nachsehen und sind darüber hinaus durch ESG höheren Fremdkapitalkosten ausgesetzt. Es gibt auch so fragliche ESG-Regeln wie Frauenquoten. In Anbetracht von typischen Berufspräferenzen können vor allem MINT-Unternehmen die Quoten nur durch die Anstellung schlechter qualifizierter Mitarbeiter erreichen. b) Investoren: Wenn sich mit ESG-Faktoren Risiken abfangen ließen, dann wäre der Abschwung der Kurse niedriger und seltener. Man hätte ein Kriterium, um systematisch den Markt zu schlagen. Genau das ist aber nicht zu beobachten. Eventuell könnte die zeitweise Überperformance von ESG-ETF der vergangenen Jahre gegenüber dem Plain Vanilla ETF so erklärt werden. Oder die betroffenen Unternehmen haben schlicht mehr Kapital erhalten, da durch ESG-ETF asymmetrisch in sie investiert wurde. c) Gesellschaft: Vor allem KMU bringen Innovationen auf den Markt. Denen wird aber der Zugang zu Fremd- und Eigenkapital erschwert, wie in a) ausgeführt. Für die Gesellschaft heißt das: Das gesamt-systemische Risiko steigt, da die ESG-Fakten mehr oder minder willkürlich von Menschen gewählt wurden. Von planwirtschaftliche Hybris können wir bisher nur eines sagen: gescheitert! Seit Schumpeter und von Hayek wissen wir, wie stark wir auf ebenjene kreative Zerstörung angewiesen sind. Mir scheint, ESG sorgt für gutes Bauchgefühl auf der Investorenseiten und Greenwashing auf der Konzernseite. Ein riskantes Spiel und die Gesellschaft zahlt langfristig den Preis.
J
Joe
sagt am 18. Oktober 2024
Was ist ESG?? Muss man das auf dem Nivuae wissen, um eure Artikel zu verstehen?
J
Joe
sagt am 18. Oktober 2024
Ok, habe ich gegoogelt und alles klar. Wäre nett sowas kurz noch mal für "Neulinge" zu schreiben.
K
Konsta
sagt am 18. Oktober 2024
Muss mich dir anschließen, Joe. Auf den Artikel über den Newsletter aufmerksam geworden, und da hatte ich mich ebenfalls bereits gefragt was die genaue Definition sei (da m.E.n. im ersten Moment die eigentliche Definition nicht sooo im Alltag geläufig ist).
K
Karsten
sagt am 18. Oktober 2024
Guter Artikel, wenn man ihn ganz liest :-) Insbesondere die prägnanten Zitate von Erdmans und Tangen. Eine kritische Anmerkung aber zur Formulierung des ganzen Absatzes mit „… die Transaktion an der Börse hat keine direkte Auswirkung auf das Unternehmen…“: das stimmt für einzelne Kleinaktionäre, und ist daher hier wohl war. Es stimmt aber nicht für die Summe der Kleinaktionäre, z.B. falls sie sich organisieren, oder für Großinvestoren: wenn kaum jemand die Aktie kaufen will, oder man öffentlich damit droht, fällt der Kurs ins Bodenlose, die verbleibenden Investoren (Eigentümer) verlieren Vermögen. Das Management wird handeln, um diese zufrieden zu stellen. Es hält i.d.R. außerdem auch selbst Aktien am eigenen Unternehmen. Das ändert in der Tat nicht direkt den Carbon Footprint, kann aber relativ direkt zu einer Änderung der unternehmerischen Entscheidungen beitragen. Die Divest…-Proteste vermögender US-Privatuniversitäten zielen genau auf diese Zusammenhänge ab. Dies gesagt: meine Anlagen sind nicht speziell auf ESG ausgerichtet. Ich versuche jedoch, durch einen überdachten Lebensstil und meine berufliche Arbeit an Lösungen zur Nachhaltigkeit meinen Beitrag zu leisten.
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