FTX Pleite: Was ist passiert?
War es das jetzt mit dem Bitcoin? So fragte manch eine Schlagzeile in den vergangenen Tagen. Man kann das für übertrieben halten, allzu weit hergeholt ist die Besorgnis aber nicht – denn die Stimmung am Markt ist so desaströs wie selten zuvor. Der Kurs notierte zuletzt bei unter 16.000€ (Stand: 16.11.22.). Das ist etwas mehr als ein Viertel von dem, was man noch im November 2021 für den Coin hinblättern musste. Der Grund für die jüngsten Turbulenzen ist schnell gefunden: Vor knapp einer Woche hat die viertgrößte Krypto-Plattform der Welt, die Plattform FTX, Konkurs angemeldet. Seither stehen mehrere Milliarden Dollar an Kundengeldern im Feuer, während einige ehemalige Geldgeber der Handelsplattform FTX ihre Investitionen schon komplett abgeschrieben haben. Neben Aufsichts- und Wertpapierbehörden haben sich inzwischen auch die Polizei der Bahamas und eine Armada an engagierten Twitter-Usern in den Fall eingeschaltet. Der Fall hält die gesamte Krypto-Welt in Atem – und könnte sie nachhaltig verändern. Doch was hat der Kryptobörse überhaupt erst den Todesstoß versetzt? Werden Kunden wirklich Geld verlieren und wie hätten sie sich vor dem Desaster schützen können?
FTX: von den Top 5 in die Insolvenz
Pleiten hat es schon so manche am Krypto-Himmel gegeben, allein in diesem Jahr: Nachdem im Frühjahr die lange gehypte Währung Terra Luna gecrasht war, segnete im Sommer die US-amerikanische Krypto-Plattform Celsius das Zeitliche. Ein paar Monate später meldete die Berliner Kryptobank Nuri Insolvenz an und schließt nun zum Ende des Jahres für immer ihre Pforten. Der Fall FTX sticht dennoch aus der Masse heraus. Zum Beispiel wegen der beachtlichen Fallhöhe.
Erst 2019 von den MIT-Absolventen Sam Bankman-Fried und Gary Wang gegründet, ist die Handelsplattform FTX mit Sitz auf den Bahamas in rasend schnellem Tempo zu einer der erfolgreichsten Kryptobörsen der Welt aufgestiegen. Zuletzt soll das Unternehmen mit rund 32 Milliarden Dollar bewertet worden sein. Neben mehr als 60 prominenten Geldgebern, darunter Namen wie Softbank und Blackrock, zählte die Handelsplattform zwischenzeitlich mehr als eine Million Kunden, darunter auch professionelle und institutionelle Anleger. Gleichzeitig war es Gründer und Star-Unternehmer Bankman-Fried, der sich selbst gern als SBF vorstellt, gelungen, ein Universum aus mehr als 130 weiteren Unternehmen um FTX zu versammeln. Darunter etwa Krypto-Leasing-Anbieter, Tokenisierungsdienste und Krypto-Handelsplattformen, von denen jetzt einige selbst vor dem Bankrott stehen.
Einzigartig macht den FTX-Skandal auch das Rätselraten um Hintergründe und Ausmaße der Affäre, die neben Strafverfolgungs- und Aufsichtsbehörden auch die Medien auf Trab hält. Noch ist nicht vollends geklärt, was jahrelang hinter den Kulissen von FTX vor sich gegangen sein muss, die Zusammenhänge und Strukturen sind undurchsichtig und gelangen eher bruchstückhaft über Insiderinformationen und lapidare Tweets an die Öffentlichkeit. Zumindest grob skizzieren lässt sich der Absturz von FTX aber schon jetzt.
Was FTX das Genick gebrochen hat
Als FTX-Gründer und Multimilliardär Sam Bankman-Fried seine Firma am 11.11. offiziell für zahlungsunfähig erklärte, war der Überraschungseffekt beinah schon wieder verpufft – hatte sich doch in den Tagen zuvor ziemlich deutlich abgezeichnet, wie nah die Plattform dem Abgrund steht. Ebendiese Vorahnung dürfte FTX auch den Rest gegeben haben. Denn kurz zuvor hatten Anleger wegen der vielen Gerüchte um eine drohende Insolvenz Einlagen in Millionenhöhe abheben wollen und Auszahlungsanträge in Höhe von mehreren Milliarden Dollar gestellt. FTX aber hat das Vermögen eingefroren und verbietet Anlegern bis heute die Auszahlung. Doch war das nur die letzte einer Reihe folgenschwerer Hiobsbotschaften.
Riskante Verknüpfung mit Alameda
Begonnen hatte alles Anfang November mit einem Bericht des Nachrichtenmagazins Coindesk. Darin nahmen die Researcher das Trading-Unternehmen Alameda Research genauer unter die Lupe: Ein Schwesterunternehmen von FTX, das der inzwischen 30-jährige Kalifornier 2017 gegründet – und später offenbar auf riskante Weise mit seiner Kryptobörse FTX verzahnt hatte. So stellte Coindesk unter anderem fest, dass ein großer Teil der Rücklagen von Alameda auf Krypto-Token basiere, allen voran auf FTT Token – der hauseigenen Währung von FTX. Ein immenses Sicherheitsrisiko für Kunden von FTX. Denn hätte sich die Trading-Firma notgedrungen von ihren Token-Beständen trennen müssen, wäre auch der Kurs der FTX-Währung abgerutscht. Eine Schieflage bei Alameda hätte also zwangsläufig auch die Solvenz von FTX bedroht.
Der mysteriöse Schwund von 2 Milliarden Dollar
Dazu steht FTX inzwischen im Verdacht, Kundengelder in Milliardenhöhe veruntreut zu haben. Davon berichtete etwa die Nachrichtenagentur Reuters mit Berufung auf zwei Insider, denen zufolge Gründer SBF heimlich 10 Milliarden Dollar an Kundengeldern an sein Handelsunternehmen Alameda Research überwiesen haben soll. Bis zu 2 Milliarden davon seien inzwischen verschwunden, zitierte Reuters die Quellen. Das hätten Aufzeichnungen ergeben, die Bankman-Fried zuvor mit leitenden Angestellten geteilt habe. Gegenüber Reuters soll SBF die Vorwürfe bestritten haben. Es sei kein Geld heimlich transferiert worden. „Wir hatten eine verwirrende interne Kennzeichnung und haben sie falsch verstanden“, zitiert Reuters den Ex-CEO. Näher sei SBF auf die Vorwürfe nicht eingegangen. Auf die Frage nach verschwundenen Kundengeldern soll sich seine Antwort etwa auf 3 Fragezeichen beschränkt haben: „Asked about the missing funds, Bankman-Fried responded: ‘???’“ Andere Medien berichteten derweil von betrügerischen Leihgeschäften zwischen FTX und Alameda. So soll SBF seiner eigenen Handelsfirma Alameda mit Krediten ausgeholfen und dafür auf Kundeneinlagen zurückgegriffen haben. Als Sicherheiten seien wiederum FTT-Token von Alameda hinterlegt worden.
Hat Binance FTX den Todesstoß versetzt?
Möglicherweise war es aber auch der chinesisch-kanadische Unternehmer Changpeng Zhao, Gründer der Krypto-Plattform Binance und langjähriger Kontrahent von FTX, der der Plattform den Todesstoß versetzt hat. Durch vergangene Geschäfte war Binance ebenfalls im Besitz einer ganzen Menge FTT-Tokens. Am sechsten November sollte sich das ändern, als Changpeng Zhao, kurz: CZ, einen folgenschweren Tweet absetzte: Wegen der „kürzlich ans Licht gekommenen Enthüllungen“ werde Binance nun sämtliche FTT-Bestände liquidieren. Allein reichte die Ankündigung, um den Kurs daraufhin von seinem Allzeithoch am 5. November binnen weniger Tage um mehr als 90% abstürzen zu lassen.
SBF bestritt die Gerüchte seines Konkurrenten um Liquiditätsengpässe und versicherte (ebenfalls über Twitter), dass es keinen Anlass zur Sorge gebe. Noch am 7. November twitterte der 30-Jährige: „FTX geht es gut. Dem Vermögen geht es gut.“
Die Kundeneinlagen seien sicher und zu keinem Zeitpunkt investiert worden. Man bearbeite außerdem alle Auszahlungsanträge der Kunden. Zwei Tage später setzt Binance-Gründer CZ noch einen drauf und heizte die Insolvenzvorwürfe weiter an. FTX habe Binance um Hilfe gebeten, so Changpeng Zhao. Die Firma befinde sich in einer schweren Liquiditätskrise, weswegen man – zum Schutz der FTX-Kunden – eine Übernahme der Handelsplattform plane.
Verbindlich zugesichert hatte CZ das Ganze nicht, sondern lediglich eine Absichtserklärung unterzeichnet. Sein Tweet vom nächsten Tag schlug dennoch ein, wie eine Bombe: Binance möchte FTX doch nicht kaufen, vermeldete der Unternehmer. Man sehe keine Möglichkeit, dem Unternehmen aus der Krise zu helfen. Dazu verwies CZ noch einmal auf die jüngsten Berichte über veruntreute Kundengelder und laufende Ermittlungsverfahren gegen FTX.
Was es mit den verschwundenen Kundengeldern auf sich hat, auf wessen Konto sie liegen und ob sie jemals wieder zu ihren rechtmäßigen Besitzern zurückfinden werden, ist bislang ungeklärt. Sicher ist nur, dass FTX-Kunden seit Tagen kein Geld mehr abheben können, weil die Plattform Auszahlungsstopps verhängt hat. Derweil sich das FTX-Fiasko immer weiter zuzuspitzen scheint.
Nur Stunden nach dem Insolvenzantrag seien mehr als 600 Millionen Dollar aus Kunden-Wallets gestohlen worden, vermeldete Anfang der Woche das Nachrichtenunternehmen Coindesk, woraufhin FTX den Schwund mit einem Hackerangriff erklärt haben soll. Doch diese Geschichte kaufen dem Ex-CEO viele nicht ab. Binnen Stunden füllte sich wiederum Twitter mit Spekulationen, der Hackerangriff könne von internen Mitarbeitern vorgetäuscht worden sein. So verwies etwa der investigative Krypto-Researcher, der sich selbst den Decknamen „ZachXBT“ gibt, auf Informationen von mehreren FTX-Mitarbeitern, die besagte Transfers angeblich nicht hätten feststellen können.
Der Krypto-Krimi rund um FTX ist noch nicht zu Ende geschrieben. Es bleibt abzuwarten, inwiefern Wertpapier- und Börsenaufsichten und andere Ermittler die Vorwürfe und Gerüchte gegen FTX und seinen Gründer bestätigen werden – und wie hoch der Gesamtschaden für die Kunden tatsächlich ist.
Verliert die Krypto-Welt an Glaubwürdigkeit?
Abgesehen davon, dass direkte Geldgeber und Unterstützer der insolventen Handelsplattform sich beim nächsten Mal vermutlich zweimal überlegen werden, in welche Handelsplattform sie ihr Geld stecken, dürfte der Fall FTX auch das Vertrauen vieler Privatanleger gebrochen haben. Die Kurse großer Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether dürfte das noch eine Weile belasten.
Gleichzeitig könnten sich durch die Pleite der Plattform die Rufe nach einer stärkeren Regulierung des Marktes verstärken, vermuten Branchenkenner. „Das jüngste Wirrwarr (…) dürfte regulatorische Konsequenzen nach sich ziehen“, kommentierte etwa Bitcoin-Experte Timo Emden vom Emden Research die Causa FTX gegenüber der Tagesschau. Der politische Analyst Marc Hays forderte in einem Interview mit dem Online-Magazin Protocol angesichts der schwindenden Glaubwürdigkeit der Branche: „Wir sollten den Schutz von Verbrauchern und Investoren priorisieren und keine sicheren Räume für Krypto-Tycoons schaffen, um schnell und locker mit den Vermögenswerten der Investoren zu spielen“.
Viele Krypto-Börsen werden nicht von Aufsichtsbehörden wie der deutschen Bafin überwacht und arbeiten ohne offizielle Lizenz – wodurch sie die Verwahrung von Kundengeldern und den Umgang mit Reserven weitgehend selbst bestimmen können.
Krypto-Anleger stürzen sich auf Hardware-Wallets
Immerhin: Die Krypto-Katastrophe scheint nicht nur Schlechtes zu bewirken. Denn selbst wenn das Ausmaß des Schadens noch nicht vollständig aufgedeckt ist, sensibilisiert der Fall doch offenbar für die massiven Sicherheitsrisiken beim Handel mit Kryptowährungen. So sollen Medienberichten zufolge in den vergangenen Tagen immer mehr Investoren auf sogenannte Hardware-Wallets umgestiegen sein – und den Herstellern ebendieser Krypto-Geldbörsen Rekordumsätze beschert haben. So vermeldete etwa der Markenbotschafter des Branchengiganten Trezor gegenüber der News-Website Cointelegraph, dass sich die Verkaufserlöse binnen einer Woche um 300% gesteigert hätten. Aktuell verkaufe man sogar mehr als vor einem Jahr, als der Bitcoin sein Allzeithoch von 68.000 Dollar erreicht hatte.
Not your keys, not your coins
Mit einem Hardware-Wallet, auch genannt: Cold-Wallet, verwahren Anleger ihre Krypto-Investitionen selbst, statt diese Arbeit einer Plattform wie FTX zu überlassen. Dabei wird der Private Key, also der Schlüssel zum Wallet, offline gespeichert, Anleger sind also verantwortlich dafür, die Zahlenkombination selbst zu verwahren. Außer ihnen hat sonst niemand Zugriff auf das Guthaben, wodurch selbst im Insolvenzfall oder bei einem Hackerangriff nichts verloren gehen kann. Das Gegenstück zur Cold-Wallet ist die Hot-Wallet: Eine Krypto-Geldbörse, die durchgängig mit dem Internet verbunden ist (z.B. in einer App auf dem Smartphone) und dadurch etwas mehr Bequemlichkeit bietet. Anleger können so jederzeit auf ihre Coins zugreifen. Beide Wallets haben gemeinsam, dass sie vom User selbst und nicht einer Kryptobörse verwaltet werden.
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Kommentare (5)
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@Wilhelm
sagt am 27. November 2022
Solche aussgen wie "ehrlich gesagt tun mir die Geschädigten nicht leid" ärgern mich und widern mich an. Erstens, wen interessiert wen du von Familienangehörigen bis hin zum Papst bemitleidest? Zweitens besagt der Vertrag den die Kunden mit FTX eingegangen sind, dass die Kundengelder nicht anderweitig verwendet werden dürfen, es sei denn es ist ausdrücklich angegeben. Daher ist es schlichtweg Betrug und man darf sich wundern, warum die Verantwortlichen nicht schon längst inhaftiert. Leute wie du, sind aber immer schnell dabei die betroffenen als dumm, gutgläubig,... usw. zu bezeichnen. Für mich eine Schuldumkehr in Reinform. Immer mit dem Argumt der Eigenverantwortung. Das ist aber nichts anders als zu sagen, suche die Schuld nicht beim Betrüger sondern bei dir selbst dem Opfer. In so manchen Ländern wird das auch mit Vergewaltigungsopfern gemacht. Mich widert ein solches Verhalten einfach nur an.
A
Anonym
sagt am 20. November 2022
Möchte absolut nicht klugscheißen...aber habe nie in FTT token oder mich auf die FTX plattform angemeldet,allein schon weil die auf den Bahamas sind. Für mich war es vorprogrammiert,dass es zu sowas kommt. Bin auch nicht in binance oder sonst wo aus solchen ländern investiert...ich vertraue da eher die europäischen kryptobörsen, Bitpanda und Bitvavo. z.B
N
Nassim Taleb
sagt am 18. November 2022
Crypto: a gigantic construction built by maladjusted Children. Mehr ist dazu nicht zu sagen.
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Wilhelm
sagt am 18. November 2022
ehrlich gesagt tun mir die Geschädigten nicht leid. Seit Jahren werden die Leute immer wieder ermahnt ihre coin's auf einer Hardware-Wallet aufzubewahren. Darüber hinaus wird und wurde auch immer vor lending-Geschäften gewarnt. FTX hat einfach gehandelt wie es jede Fiat-Bank das auch tut: Mit dem Geld der Kunden wird spekuliert. Der kleine aber feine Unterschied ist nur, dass für die Rettung einer Bank meist der Steuerzahler aufkommen muss.
A
Anonym
sagt am 18. November 2022
Super Artikel! Ich bin froh, dass ich mir vor 4 Monaten eine Ledger Wallet besorgt habe. Mir tun die geschädigten Kunden sehr leid...
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