Prognose zur Weltwirtschaft: „Das Schlimmste steht uns noch bevor“
Als der Internationale Währungsfonds (IWF) im Juli seine Prognose zum Wachstum der Weltwirtschaft vorgestellt hat, klang der Titel des Berichts bereits wenig ermutigend: „Düster und noch unsicherer“ solle es mit der Weltwirtschaft weitergehen. Heute, im November 2022, blicken die Ökonomen in eine noch trübere Zukunft. Auch wenn der Titel des Oktoberberichts weniger dramatisch klingt („der Lebenshaltungskrise entgegenwirken“), ist der Inhalt doch umso beunruhigender.
Gingen die Organisation noch im Sommer davon aus, dass die globale Wirtschaft im kommenden Jahr um 2,9% wachsen werde, rechnen sie jetzt nur noch mit 2,7% Veränderung. Mal abgesehen von der Finanzkrise 2008/09 und der akuten Phase der Coronapandemie im Jahr 2020 wäre das die schwächste Entwicklung seit der Jahrtausendwende. Das zeigt schon ein Blick auf die durchschnittlichen Wachstumsraten der vergangenen Jahrzehnte: Zwischen 1970 und 2021 ist das weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Schnitt um 3,6% pro Jahr gestiegen. Pierre-Olivier Gourinchas, Chefvolkswirt des IWF, bringt die Lage in seinem Vorwort des Berichts auf den Punkt: „Kurz gesagt, das Schlimmste steht noch bevor, und für viele Menschen wird sich 2023 wie eine Rezession anfühlen.“
Krieg, Inflation und Corona bremsen das Wachstum
Unterbrochene Lieferketten und Produktionsstopps sind einige der großen Belastungen, mit denen Unternehmen auf der ganzen Welt auch mehr als zwei Jahre nach Ausbruch der Coronapandemie noch zu kämpfen haben. Daneben drückt maßgeblich der russische Angriffskrieg auf die Ukraine das Wirtschaftswachstum. Schließlich ist der Konflikt der Hauptauslöser für die globale Energiekrise, die Unternehmen wie Privathaushalte gleichermaßen belastet. Für das gesamte Jahr 2022 rechnet der IWF mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 8,8%, die sich 2023 zumindest leicht auf 6,5% reduzieren könnte. „Wir gehen davon aus, dass die globale Aktion Ende 2022 ihren Höhepunkt erreichen wird, aber länger als bisher erwartet hoch bleiben und bis 2024 auf 4,1 Prozent sinken wird“, heißt es in dem Bericht.
Von den multiplen Krisen der vergangenen Jahre ist nicht jedes Land und jede Region in gleichem Maße betroffen. Schwellen- und Entwicklungsländer etwa ächzen stärker als manch ein Industrieland unter der Aufwertung des US-Dollars – unter anderem Resultat der dortigen Geldpolitik, die wiederum eine Reaktion auf die hohen Inflationsraten ist. Eine starke Fremdwährung verteuert Importe, was ein exportschwächeres Land in Bedrängnis bringen kann. Mit Wachstumsraten im Minusbereich müssen im kommenden Jahr aber vor allem reiche Industrienationen rechnen. Darunter Deutschland: Die Wirtschaftsleistung der Bundesrepublik soll nicht langsamer wachsen und auch nicht stagnieren – sie soll um 0,3% schrumpfen. Mit dieser Aussicht steht das Land so schlecht da wie keine andere große Industrienation.
EU-Kommission rechnet mit 0,6% Schrumpfung
In diesem Jahr soll es für die deutsche Volkswirtschaft noch um 1,5% nach oben gehen, so die Prognose des IWF von Anfang Oktober. Immerhin eine Zahl im Plusbereich, wenn auch eine deutliche Verschlechterung verglichen mit dem Jahr 2021, als die deutsche Wirtschaft noch um 2,6% gewachsen ist. Im kommenden Jahr nun soll die Wirtschaftsleistung ins Minus rutschen und um 0,3% zurückgehen.
Der IWF steht mit seiner Vision nicht allein da. Auch die OECD glaubt an eine Schrumpfung des deutschen BIP um 0,3% im nächsten Jahr. Die EU-Kommission dagegen hatte in ihrer etwa zeitgleich erschienenen Herbstprognose sogar ein Absinken der Wirtschaftsleistung um 0,6% für 2023 vorausgesagt. Lediglich in Schweden, so die Prognose, werde das BIP im kommenden Jahr ebenfalls um 0,6% sinken. Daneben kommt nur noch Lettland auf eine ähnlich schlechte Aussicht von -0,3%. Der IWF hat, anders als die Europäische Kommission, auch für Italien ein negatives Wachstum von -0,2% prognostiziert.
Doch was sind die Gründe für das Abrutschen ins Minus? Zum einen spielt natürlich die Ausgangsbasis eine Rolle. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer sollen laut Prognose im kommenden Jahr auf nur noch halb so hohe Wachstumsraten blicken, fallen aber wegen vergleichsweise hoher Raten aus der Vergangenheit noch nicht ins Minus. Die Volksrepublik China etwa hat 2021 noch ein Wirtschaftswachstum von 8,1% hingelegt, bevor es 2022 auf 3,2% herunterging und die Wirtschaft im kommenden Jahr nun wieder um 4,4% steigen soll.
Speziell in Deutschland wird die Entwicklung nach Ansicht der EU-Kommission jedoch auch durch spezifische Faktoren bedingt: Da wären zum einen die hohen Energiepreise, die laut der Kommission „voraussichtlich bis weit ins Jahr 2024 hinein hoch bleiben werden“. Weil die Politik die privaten Haushalte voraussichtlich nur teilweise entlasten werde, dürfte der private Konsum in diesem Winter zurückgehen und längere Zeit auf niedrigem Niveau verharren. Zudem würden viele lokale, energieintensive Produkte durch Importe ersetzt, während weiterhin Lieferengpässe die heimische Produktion belasteten.
Inflation könnte leicht zurückgehen
Deutschland steht mit seinen Aussichten auf 2023 etwas schlechter da als der restliche Euroraum. Während die Europäische Kommission davon ausgeht, dass das reale BIP aller Euro-Länder zusammen kommendes Jahr um 0,3% steigen soll, rechnet der IWF mit einem Plus von 0,5%. Im Vergleich zu 2022 wäre das dennoch eine deutliche Verschlechterung: Dieses Jahr soll die Wirtschaft im Euroraum noch um 3,1% gewachsen sein.
Für die Weltwirtschaft sind die Aussichten auch über das Jahr 2023 hinaus nicht unbedingt rosig. Das BIP, also der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, werde bis 2026 stark zurückgehen, schätzt der IWF. Noch Anfang 2022 habe man mit einem weltweiten Produktionsverlust von insgesamt 1,5% bis 2026 gerechnet. Inzwischen gehen die Experten von 3% aus.
Zwischen all solchen Hiobsbotschaften enthält der IWF-Bericht allerdings auch einen kleinen Lichtblick: Die Preise sollen zwar auch nächstes und übernächstes Jahr weiter steigen – dafür aber weniger stark. Die durchschnittliche Inflation in allen Ländern der Welt könnte sich laut des Berichts bis 2024 mehr als halbiert haben und dann „nur“ noch bei 4,1% stehen. Aus dem Jahr 2022 werde die Welt vermutlich mit einer globalen Teuerungsrate von durchschnittlich 8,8% im Vergleich zum Vorjahr gehen. Kommendes Jahr, so schätzen die Experten, dürfte die Steigerung etwas weniger stark ausfallen und weltweit rund 6,5% betragen. Voraussetzung seien allerdings sinkende Energiepreise und eine straffe Geldpolitik vonseiten der zuständigen Notenbanken.
In den entwickelten Volkswirtschaften, so erwartet der IWF, könnte die Inflation so schon im kommenden Jahr auf 4,4% sinken. Entwicklungs- und Schwellenländer dagegen müssen aller Voraussicht nach noch länger auf eine Erholung der Preise warten. Dort soll die Teuerung laut IWF auch 2023 noch ganze 8,1% im Vergleich zum Vorjahr betragen. Für 2022 schlägt der IWF Bericht die Inflationsrate auf 9,9%.
Was machen Rezession und Schrumpfung mit einem Land?
Fällt das Wirtschaftswachstum in den Minusbereich, spricht man auch von einem Abschwung. Als Maß für die Konjunktur eines Landes, einer Region oder auch der Weltwirtschaft wird in der Regel das Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP, herangezogen. Je niedriger die Wertschöpfung eines Landes in einem bestimmten Zeitraum ausfällt, je weniger die im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen also wert sind, desto niedriger ist auch das BIP. Geht das Wachstum in einer Region über zwei Quartale zurück, liegt also mindestens sechs Monate lang im Minusbereich, spricht man von einer „technischen Rezession“. Doch was bedeutet es für Land, Menschen und Gesellschaft konkret, wenn die Wirtschaftsleistung schrumpft?
Eine Rezession bedeutet in aller Regel einen Wohlstandsverlust. So ein sinkender Wohlstand kann auf unterschiedliche Weise zutage treten, beispielsweise durch einen Kaufkraftverlust. Können sich die Menschen in einem Land weniger leisten, weil die Preise schneller steigen als die Löhne, belastet das am Ende auch die Unternehmen. Schließlich verkaufen diese dadurch weniger, machen also weniger Gewinn und müssen dafür an anderer Stelle sparen. Eine Folge können Kurzarbeit oder auch Entlassungen sein, was wiederum die Arbeitslosenquote steigen lässt – und den Teufelskreis zusätzlich anfeuert. Denn wer erwerbslos ist, kann sich weniger leisten, lebt also tendenziell noch sparsamer. Wieder andere Unternehmen werden in Zeiten hoher Inflation zum Sanierungsfall, weil sie sich die Materialien oder Rohstoffe nicht mehr leisten können, die für die Produktion notwendig sind. Auch Lieferprobleme, wie sie während der Coronapandemie auftraten, belasten die Produktionsfähigkeit eines Landes und können für Unternehmen zur Existenzbedrohung werden.
Aussicht auf Abschwung drückt auf die Börsenkurse
Ein paar dieser Auswirkungen sind in Deutschland bereits spürbar. So ist die Konsumstimmung hierzulande beispielsweise schon vor Monaten gekippt. Für den November hatte das Nürnberger Konsumforschungsunternehmen GfK für die Bundesrepublik ein Konsumklima von Minus 41,9 Punkten prognostiziert. Vor Beginn der Coronapandemie 2020 lag dieser Wert noch bei +10 Punkten.
Ein wirtschaftlicher Abschwung, der eine ganze Region oder wie aktuell so gut wie die Welt betrifft, macht sich eher früher als später auch an der Börse bemerkbar. Schließlich sind große Aktienindizes so etwas wie ein Gradmesser für die Wirtschaft. Sind die Aussichten getrübt, haben Unternehmen mit Lieferengpässen oder gestiegenen Rohstoffpreisen zu kämpfen oder erwarten die Marktteilnehmer gar eine breitflächige Rezession, neigen viele Investoren zur zögerlichen Zurückhaltung, verzichten also auf neue Investitionen oder verkaufen ihre Papiere.
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Es könnte auch noch schlimmer kommen
Hinter wirtschaftlichen Prognosen, wie sie alle paar Monate von Organisationen wie der OECD und dem IWF oder Verwaltungsorganen wie der EU-Kommission herausgegeben werden, stecken fundierte wissenschaftliche Berechnungsmethoden. Dennoch handelt es sich hierbei lediglich um Schätzungen. Wie es der globalen Wirtschaft in einem oder zwei Jahren gehen wird, ob die Preise weiter rasant steigen und wie die Unternehmen durch die Krise kommen werden, ist ungewiss. Es hängt zum Beispiel maßgeblich vom weiteren Verlauf des Ukraine-Krieges ab. Ein Waffenstillstand etwa würde nicht nur abertausende Menschenleben retten, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Lage am Energiepreismarkt entspannen.
Möglich ist aber auch, dass es noch schlimmer kommt als bislang von den Wirtschaftswissenschaftlern angenommen. Ein paar solcher Schreckensszenarien hat der IWF in dem Bericht von Oktober unter dem Schlagwort „Risiken“ zusammengefasst. Und die Liste ist lang: So könnten etwa weitere Engpässe am Energiemarkt und erneute Lebensmittel-Preisschocks die Inflation zusätzlich befeuern. Denkbar wären laut den Ökonomen auch ein „Wiederaufleben von Covid-19“ oder neue globale Gesundheitsrisiken, die das Wachstum weiter bremsen könnten. Daneben wird entscheidend sein, wie erfolgreich einzelne Staaten bei der Bekämpfung der Inflation mit ihrer jeweiligen Geldpolitik sein werden.
Der IWF sieht die Straffung der Geldpolitik prinzipiell als sinnvollen Weg im Kampf gegen die hohen Teuerungsraten, warnt aber zur Vorsicht: Es bestehe die Gefahr, dass sowohl zu wenig als auch zu fest angezogen würde, schreibt IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas im Vorwort des Berichts. So könnten zu langsam steigende Zinsen die Inflation weiter verfestigen und gleichzeitig die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken untergraben. Ziehen die Notenbanken die Zügel dagegen zu straff an und erhöhen die Leitzinsen zu stark oder zu schnell, könnte die Weltwirtschaft im schlimmsten Fall in eine unnötig harte Rezession geraten. Der Gedanke: Durch steigende Zinsen verteuern sich letzten Endes auch Kredite, was wiederum stark verschuldete Länder noch stärker belastet.
Kommentare (2)
M
Meiner Einer
sagt am 01. Dezember 2022
Sind wir mal ehrlich: Die durch den Ukraine Krieg verursachte Gaskrise mit all den dadurch verursachten Preissteigerungen ist ein kalter Entzug von den fossilen Energien. - Wir haben das schon mal mit der Ölkrise in den 70re Jahren erlebt. Damals gab es die Abhängigkeit vom saudischen Öl. Der Ausweg war Offshore Öl und norwegisches Gas. - Bis wir uns in eine neue Abhängigkeit begeben haben - sau billiges russische Gas. mehr als 50% Marktanteil! Jede Abhängigkeit ist schlecht. Wer nach finanzieller Unabhängigkeit strebt, sollte sich nicht in neue Abhängigkeiten begeben. Wie beim Geldanlegen gilt auch hier: Alle Eier in einem Korb ist nicht ratsam. Und deshalb ist diese Krise ein Chance, weil sonst eine Umorientierung nicht möglich wäre (Stichwort "Brückentechnologie"). Es ist zu gleich eine Chance eine Reduktion unserer Abhängigkeit von fossilen Energien, mit all den dadurch verursachten Langzeitfolgen. (Einfach bei Youtube nach Stefan Rahmstorf suchen: Ist das Klima noch zu retten? | Prof. Dr. Stefan Rahmstorf | KISS 2.0) Erneuerbare Energien bieten auch die Chance zu finanzieller Unabhängigkeit. Eine PV für Eigenstrom auf dem Dach, ein Batteriespeicher im Keller und ein BEV in der Garage machen unabhängig gegen Preissteigerungen. (zu 80%) Erneuerbare richtig gemacht sind eine gute Investition und bieten sinnvolle Arbeitsplätze. Sie reduzieren unsere Abhängigkeit und hinterlassen keine strahlenden Abfälle oder tiefe Kohlegruben. In den größten Krisen gibt es die größten Chancen. Jetzt und heute.
H
Happy
sagt am 25. November 2022
Es gehört zwar thematisch nicht hier her, war mir aber wichtig: Ihr habt ein tolles Tutorial zu Portfolioperformance auf YouTube hochgeladen! Ich nutze die Software seit einigen Jahren und bekam dennoch sehr hilfreiche Tipps. Da ich mich bei YouTube nicht anmelde und daher vermutlich dort auch keine Kommentare hinterlassen kann wollte ich mich hier bedanken, auch wenn es nicht hierher gehört. VG Happy
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