Mietpreisbremse: ein zahnloser Tiger?
Fast genau neun Jahre ist es her, dass Deutschland auf die Bremse trat. Genauer: auf die Mietpreisbremse. Die Kaltmieten sollten langsamer steigen, so die Idee hinter dem Gesetz, das Ex-Justizminister Heiko Maas einst als „Meilenstein im Mietrecht“ feierte. Heute gilt die Mietpreisbremse als gescheitert, trotzdem will die Ampel-Regierung sie nun ein weiteres Mal verlängern. Ist das Gesetz vielleicht doch besser als sein Ruf?
Dramatischer Anstieg in Großstädten
Man muss das eigentlich niemandem mehr erklären, doch der Vollständigkeit halber sei es erwähnt: Wohnraum ist in vielen Teilen Deutschlands knapp und begehrt, vor allem in den großen Städten. Während deren Einwohnerzahlen jedes Jahr wachsen, zieht das Angebot an freien Mietwohnungen nur langsam an. Knapp 295.000 Wohnungen wurden 2023 bundesweit neu errichtet - 105.000 weniger als geplant. Was passiert, wenn die Nachfrage das Angebot stark übersteigt, dafür können viele deutsche Städte inzwischen als Paradebeispiele herhalten. In Berlin beispielsweise verdoppelten sich nach Angaben des Statistischen Bundesamts die Preise zwischen 2013 und 2023 (von rund 7€ auf rund 14€ pro m²), in München stiegen sie um knapp 40%, in Frankfurt (Main) um rund 30%.
Mietpreisbremse gilt in mehr als 200 Städten und Gemeinden
Dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, war das erklärte Ziel der Großen Koalition, als diese 2015 die Mietpreisbremse beschloss. In welchen Städten und Gemeinden sie gilt, können die Bundesländer selbst bestimmen. Dabei weisen die einzelnen Landesregierungen Gebiet aus, in denen sie den Markt für angespannt halten und müssen begründen, weshalb dort aus ihrer Sicht die Bremse gelten sollte.
Aktuell machen davon zwölf der 16 Bundesländer Gebrauch, insgesamt gilt die Mietpreisbremse in 203 Städten und Gemeinden. Während Bayern beispielsweise mehr als 200 Gebiete bestimmt hat, sind es in Hessen 40 Orte und im Bundesland Sachsen lediglich die Städte Dresden und Leipzig.
Steigen ja, aber langsamer
Greifen soll die Mietpreisbremse im Fall einer Neuvermietung. Wird eine Immobilie nach einem Auszug erneut vermietet, darf die neue Miete bei Vertragsabschluss höchstens 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Das heißt: Verboten sind Preissteigerungen nicht. Nur sollen sie sich – so die Pläne des Gesetzgebers – wenigstens in Grenzen halten. Liegt die Vergleichsmiete in einem Gebiet beispielsweise bei 10,50€ pro m², dürfen Eigentümer die Miete bei Neuvermietung höchstens auf 11,55€ den m² anheben. Bei einer 80m² Wohnung entspräche das einer Nettokaltmiete von maximal 924€.
Lage und Ausstattung entscheidend
Grundlage der Mietpreisbremse ist die ortsübliche Vergleichsmiete, besser bekannt als Mietspiegel. Er gibt die durchschnittlichen Quadratmeterpreise für vergleichbare Wohnungen an und wird üblicherweise einmal im Jahr von jeder Stadt oder Gemeinde in Tabellenform veröffentlicht. Wo die ortsübliche Vergleichsmiete einer Wohnung steht, hängt einerseits von der Lage ab und andererseits vom Zustand der Immobilie. Viele Stadtverwaltungen stellen daher zusätzlich Online-Berechnungstools zur Verfügung, in denen sich genauere Angaben zu einer Immobilie machen lassen, beispielsweise zum Baujahr, zum Gebäudetyp, Zustand von Sanitäranlagen, Küche, Fußboden und weiteren Ausstattungsmerkmalen. Wurde eine Immobilie luxuriös saniert, kann der geltende Mietspiegel schon mal doppelt so hoch liegen wie der eines 20er-Jahre-Altbaus mit WC im Treppenhaus. Bereits zwei Türen weiter können also völlig andere Preise als angemessen gelten als in der eigenen Wohnung.
Mietpreisbremse verlängert bis 2029
In ihrer ersten Fassung von 2015 galt die Mietpreisbremse zunächst nur für fünf Jahre. 2019 verständigte sich die damalige Regierung darauf, das Gesetz um weitere fünf Jahre zu verlängern und passte es bei der Gelegenheit ein klein wenig an: Seither haben Mieter die Möglichkeit, sich auch rückwirkend zu viel gezahlte Miete erstatten zu lassen, falls sie mehr zahlen als erlaubt. Anfang April nun entschied man sich in der Regierungskoalition erneut gegen ein Auslaufen der Mietpreisbremse – und verständigte sich auf eine Verlängerung bis 2029.
Ganz zum Missfallen einiger Akteure am Markt. Es dauerte nicht lange, da kündigte der Eigentümerverband Haus und Grund gegenüber der „Bild-Zeitung“ an, gegen die Koalitionspläne vors Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen. „Seit Einführung der Mietpreisbremse nimmt die Zahl der fehlenden Wohnungen zu. Inzwischen sollen es fast 900.000 sein“, begründete Verbandschef Warnecke das Vorhaben. Die Mietpreisbremse schade vor allem den Mieterinnen und Mietern, die eine bezahlbare Wohnung suchen.
Bei so viel Ablehnung könnte man fast meinen, die Mietpreisbremse vermiese tatsächlich einigen Eigentümern das Geschäft. Ist sie vielleicht wirksamer als gedacht und bremst tatsächlich die Preise aus? Nun, theoretisch hätte sie das Zeug dazu. Das Problem ist nur, dass das Gesetz löchrig ist wie ein Schweizer Käse. Eigentümer haben eine Reihe von Schlupflöchern zur Auswahl, mit denen sie ihre Wohnung zu einem Ausnahmefall erklären können. Als da wären:
- Modernisierungen: Je mehr gewerbliche Immobiliengesellschaften und private Vermieter investieren, desto besser stehen die Chancen, dass sie ihre Immobilie anschließend teuer vermieten können. Konkret: Kostet die Modernisierung einen Eigentümer mindestens ein Drittel von dem, was für eine vergleichbare Neubauwohnung angefallen wäre, greift die Mietpreisbremse nicht.
- Befristung: Befristete Mietverhältnisse, bei denen die Immobilie nur für einen vorher festgelegten Zeitraum vermietet wird, sind ebenfalls von der Preisbremse befreit. Nicht selten handelt es sich bei derartigen Angeboten um möblierte Apartments, deren Mietpreise in der Regel weit über dem Durchschnitt liegen. Quadratmeterpreise von über 35€ sind in begehrten Lagen keine Seltenheit. Das Problem dabei laut Mieterverband: Die überzogenen Preise fließen in den Mietspiegel ein – und verschieben damit den Maßstab um ein ganzes Stück.
- Neubau: Eigentümer von Neubauten dürfen für ihre Immobilien so viel verlangen, wie sie möchten, sofern diese nach Oktober 2014 errichtet wurden.
- Hohe Vormiete: Lag die Miete schon vor Vertragsabschluss weit über dem Mietspiegel, muss sie bei Wiedervermietung nicht abgesenkt werden. Eigentümer genießen in diesem Fall Bestandsschutz.
- Indexmietverträge: Sogenannte Indexmieten, deren Höhe von der Entwicklung des Verbraucherpreisindex beeinflusst wird, bilden ebenfalls eine Ausnahme. Zwar darf die erste Ausgangsmiete die Vergleichsmiete nicht um mehr als 10% übersteigen, dafür darf die Indexmiete im Anschluss uneingeschränkt erhöht werden.
„Erschreckend viele Vermietende ignorieren die gesetzlichen Bestimmungen der Mietpreisbremse“
Bei all den Ausnahmen und Sonderfällen überrascht es nicht, dass Verbraucherschützer und Mieterverbände für die Preisbremse eher selten lobende Worte übrig haben. „Die Mietpreisbremse greift nicht“, bilanzierte schon ein Jahr nach ihrer Schaffung der Berliner Mieterverein. Mit mehr als 190.000 Mitgliedern ist die Interessenvertretung die größte der Hauptstadt, hatte die Einführung der Preisbremse 2015 sogar mit initiiert – doch wegen der vielen Schlupflöcher immer wieder als nutzlos kritisiert. So auch in der jüngsten Auswertung von 2023. „Erschreckend viele Vermietende ignorieren die gesetzlichen Bestimmungen der Mietpreisbremse“, resümierte der Verein im Rahmen einer nicht repräsentativen Studie. In dieser hatte der BVM insgesamt 935 Überprüfungsfälle untersucht, die Mieterinnen und Mietern ihm zugespielt hatten, die meisten davon aus dem Jahre 2021. In 98% der Fälle überschritten die Mieten die zulässige Höhe, was zunächst nicht überrascht – schließlich wandten sich die Mieter aus ebendiesem Grund an den Mieterverein. Verblüffend ist jedoch: In der Hälfte der Fälle lagen die Mieten ganze 60% über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Im Schnitt entsprach das 287€, in einigen Fällen jedoch auch 700-1.000€.
900 von 935 Vermieter verstießen gegen das Gesetz
Doch hatten die Eigentümer nicht vielleicht gute Gründe, ihre Mieten in dem Maße anzuheben? Erschreckenderweise galt das für die wenigsten. In lediglich 35 Fällen konnten Vermieter ihre Ausnahmefälle belegen. Mit anderen Worten: 900 Eigentümer hatten ihre Mieten unerlaubt hochgeschraubt. „Sanktionen müssen die Vermieter:innen nicht befürchten“, schreibt der Berliner Mieterverein auf seiner Website und zitiert Geschäftsführerin Wibke Werner: „Wir sind empört, dass die Politik seit Jahren zuschaut, wie die gesetzlich verankerte Bremse umgangen wird“.
Ähnlich frustrierende Ergebnisse brachte eine ARD-Recherche, die sich 2020 den Hamburger Wohnungsmarkt vornahm. Mehr als 6.000 online inserierte Wohnungsangebote überprüften die Journalisten genauer und stellten fest: Für 41% von ihnen verlangten die Vermieter mehr als erlaubt, in einigen Gegenden lag die Quote sogar bei mehr als 80%.
Fast schon positiv klingt da die Bilanz des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2018. „Die Mietpreisbremse ist besser als ihr Ruf“, konstatierten die Ökonomen in einer Studie. Zumindest in Teilen des Landes zeige die Bremse sehr wohl Wirkung, etwa in Berlin, München, Stuttgart und Bielefeld. Mancherorts, so die Studienautoren, seien die Mieten durch sie sogar gesunken. Das gelte in Gegenden, in denen die Mieten zuvor stark gestiegen seien, in dem Fall um mindestens 3,9% pro Jahr. Insgesamt schätzte das DIW den Effekt jedoch eher moderat ein. Wo die Preisbremse wirkt, stiegen die Mieten etwas langsamer, doch liege der Effekt lediglich bei 2-4%, wie die Studienautoren damals gegenüber Medien schätzten. Immerhin: Dem Bau neuer Wohnungen schade das Gesetz nicht, befand das DIW. Im Gegenteil, eher befeuere die Mietpreisbremse den Bau neuer Wohnungen, da diese ja ohnehin von dem Gesetz ausgenommen sind.
Ein Tropfen auf den heißen Stein
Man muss kein Wohnungsmarktexperte sein, um zu erkennen, dass die Mietpreisbremse in überhitzten Wohngebieten allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein sein kann. Um am Mietmarkt so etwas wie eine Balance herzustellen, taugt sie jedenfalls nicht. Zwar mag sie in Teilen Deutschlands das Tempo der Preissteigerungen leicht herunterdrehen. Am Verhältnis aus Angebot und Nachfrage rüttelt sie damit jedoch nicht. Selbst wenn also die Mietpreisbremse mustergültig funktionieren und die Preise so langsam steigen würden, wie es sich die Politik damals ausgedacht hat, würde es weiterhin an Hunderttausenden von Wohnungen fehlen. Weil es schlichtweg an Angebot fehlt, das der immer weiter steigenden Nachfrage auch nur im Geringsten gerecht werden könnte. So hat die Mietpreisbremse allenfalls das Zeug zu einem schwachen Schmerzmittel, das die Symptome vielleicht erträglicher macht. Die Ursachen wird sie damit jedoch nicht bekämpfen.
Kommentare (8)
B
BG
sagt am 31. Mai 2024
Als Vermieter möchte ich einer anderen Person einen bezahlbaren Wohnraum ermöglichen und ein gutes Verhältnis zu dieser Person pflegen. Daher verhalte ich mich sozial und solidarisch und verlange eine Miete, die beide Vertragsparteien in Ordnung finden. Ich habe das Glück gehabt, dass meine Immobilie im Wert extrem gestiegen ist, wie sehr viele Vermieter... Das kann ich an eine Mieterin oder einen mieter weitergeben und muss nicht immer mehr mehr mehr wollen. Vielleicht lebe ich in einer rosaroten Welt; aber wenn wir uns alle mal ein wenig zurückhalten und nicht immer das Maximale wollen, dann brauchen wir keine Mietpreisbremse. Vielen Dank für den traurigen Artikel... Ein glücklicher Vermieter.
N
Nick
sagt am 31. Mai 2024
Interessant wäre noch die Relevanz der Mietpreisbremse bei Staffelmieten gewesen.
A
Arnd
sagt am 31. Mai 2024
Es wäre schön gewesen, wenn ihr deutlicher auf die eigentliche Ursache der Preissteigerungen eingegangen wärt. Das Problem des mangelnden Angebots verschärft die Mietpreisbremse nur, sodass das Problem immer schlimmer werden wird solange bis die Nachfrage sinkt. Die Mietpreisbremse stellt ein erhebliches Hemmnis für die Schaffung von Wohnraum dar. Dieser Aspekt fehlt mir vollkommen im Artikel.
A
Arne
sagt am 01. Juni 2024
Dann les nochmal. Die Mietpreisbremse kann nicht bei Neubauten angewendet werden. Daher hat diese eher sogar einen förderlichen Aspekt auf den Neubau.
L
Laurent Leschkowitz
sagt am 31. Mai 2024
Hört bitte mit dem Gendern in den Texten auf. Einmal schreibt ihr Vermietende,, dann wieder Vermieter. Die Texte lenken dann leider manchmal vom wirklich interessanten Thema ab.
Markus Schmidt-Ott
Autor
sagt am 31. Mai 2024
Dabei handelt es sich um Zitate...
S
Siegbert
sagt am 31. Mai 2024
Wie kann denn ein neuer Mieter überhaupt feststellen oder gar nachweisen, dass die vom Vermieter geforderte Miete um mehr als 10% erhöht wurde? Da braucht man ja erst einmal Kenntnis über die vorige Miete, was vermutlich selten gegeben ist.
M
Micha
sagt am 31. Mai 2024
Also besser als der Ruf zu sein ist ja wahrlich kein großer Akt für die Mietpreisbremse... Alles ist größer als 0
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