Was passiert nach dem P2P-Crash?
Nach dem Crash: Geht die P2P-Party weiter?
Es ist ein sonniger Abend in Riga, als sich knapp 400 gut angezogene Leute auf der Dachterrasse eines gläsernen Neubaus treffen. HipHop-Musik dröhnt aus den Boxen, Leute sitzen auf gepolsterten Loungemöbeln und trinken Aperol Spritz. Wer will, kann sich in eine goldene Badewanne voller Geldscheine legen.
Es ist die Pre-Event-Party, die die Gäste auf zwei volle Tage in der Welt der P2P-Kredite einstimmen soll. Investoren, Blogger und Betreiber von Kreditmarktplätzen wurden eingeladen, um sich an diesem Wochenende im Juni 2019 über die neuesten Entwicklungen auf dem Markt der Privatkredite zu informieren, Vorträge zu hören und ins Gespräch zu kommen. Einige Gäste haben das Event auf Video festgehalten und ins Internet gestellt.
Schließlich ist es das erste Mal, dass sich die “P2P-Szene” in so großer Formation in Europa trifft - das erste Mal, dass der Branche eine eigene Konferenz gewidmet wird. Auf die Beine gestellt wurde das Ganze unter anderem von Mintos, einem der erfolgreichsten Kreditvermittler weltweit.
In diesem Sommer 2019 hat der lettische Kreditvermittler ohnehin einiges zu feiern: Denn das Unternehmen hat nicht nur in großem Stil neue Mitarbeiter eingestellt, sondern auch gerade erst seine neueste Errungenschaft, die “Invest & Access”-Funktion auf den Markt gebracht, die dem Kunden quasi ein ganzes Portfolio zusammenstellt. Inzwischen wurde “Invest & Access” wieder eingestellt und zahlreiche Mitarbeiter entlassen.
Wir berichteten:
Es ist einer von vielen Fällen, an dem deutlich wird, wie hart die Corona-Krise den P2P-Markt getroffen hat. Aber wie geht es der Branche heute? Welche Plattformen haben es aus dem Abwärtsstrudel heraus geschafft und wer hat sich bis heute nicht erholt?
Was passiert nach dem Crash?
Schulden machen, ohne die Hausbank anzupumpen - dieses Modell zieht seit einigen Jahren immer mehr Leute an. Schließlich haben die institutionellen Geldgeber ihre festen Regeln, nach denen längst nicht jede Privatperson Anspruch auf ein Darlehen hat. Für genau diese Personen sind “Peer-to-Peer”-(zu deutsch: Von Privatperson zu Privatperson)-Plattformen eine gute Möglichkeit, sich dennoch Geld zu leihen. Zinsen müssen natürlich trotzdem gezahlt werden - und je nachdem, wie liquide der Schuldner ist, können diese auch mal in den höheren zweistelligen Bereich reichen. Hier kommen die Geldgeber ins Spiel: Denn weil vor allem außerhalb Deutschlands attraktive Zinsen, oder besser gesagt: Wucherzinsen winken, wittern immer mehr Anleger in Zeiten einer anhaltenden Zinsflaute das große Geschäft. Immer vor dem Risiko, dass der Kredit auch jederzeit platzen könnte, weil entweder der Schuldner oder gar die P2P-Plattform pleite gehen. Das Geld sehen die Investoren in solchen Fällen häufig nur teilweise oder auch gar nicht wieder.
2007 fing der Aufschwung an
Dass private Kredit-Geschäfte boomen, ist kein gänzlich neues Phänomen. Tatsächlich haben sich schon im 20. Jahrhundert einige Privatleute untereinander vernetzt, um sich gegenseitig mit Darlehen (oder Zinsen) auszuhelfen. So richtig in Fahrt kam der P2P-Markt allerdings erst um die Jahre der Finanzkrise (2007/8), als Bankhäuser beschlossen, bei der Vergabe von Darlehen deutlich weniger Willkür walten zu lassen.
Vor allem außerhalb Deutschlands erfuhr das P2P-Business plötzlich einen Aufschwung: Die Kreditplattform Bondora gründete sich 2008 in Estland und zählt heute zu den größten Kreditvermittlern weltweit. Der zweite Boom folgte um die Jahre 2015/16, als Plattformen wie Mintos, Swaper, Peerbery und Grupeer entstanden.
Und dann ging es bergab
Vor allem im Baltikum ist die Zahl der Plattformen inzwischen beachtlich - lassen sich hier doch europaweit die höchsten Zinsen für Privatkredite fordern. Anleger können nämlich auch in sogenannte Pay Day Loans investieren, das sind kurzlaufende Dispokredite, die teilweise um die 17% Zinsen und mehr abwerfen. Alleine über 100 Milliarden Euro Investitionsvolumen steckten 2019 in den 25 größten P2P-Plattformen, wie das Research-Unternehmen P2P-Market Data in seiner aktuellen Statistik errechnet hat. Ja, das P2P-Geschäft brummte, kann man sagen. Bis jetzt. Denn Corona hat vielen Plattformen - milde gesagt - das Geschäft zerschlagen.
Der Grund: Schon als sich der Abschwung an den Märkten ankündigte, strichen einige Plattformen die Segel, darunter Envestio und Kuetztal. Kurz darauf vermeldete der Kreditvermittler Grupeer, keine neuen Investitionen mehr anzunehmen, nachdem die Investoren massenhaft ihre Einzahlungen zurückgefordert hatten (wir berichteten). Anfang September nun hat das Unternehmen angekündigt, seine Geschäftstätigkeit demnächst wieder aufzunehmen.
Aber warum hat Corona den P2P-Markt überhaupt erst ins Straucheln gebracht?
Nicht nur Großkonzerne haben seit Monaten mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen. Zahlreiche Privatpersonen, die ohnehin schon in der Kreide standen, sind in der Corona-Krise noch tiefer in die Krise gerutscht. Die Kreditgeber wiederum hat das stark verunsichert. Viele Gläubiger haben schleunigst ihr Kapital abgezogen, um sich rechtzeitig vor steigenden Ausfallraten beziehungsweise eventuell platzenden Krediten zu schützen. Das wiederum hat die Plattformen als Kreditvermittler stark in die Bredouille gebracht. Kurz gesagt: Am P2P-Markt ist die schiere Panik ausgebrochen.
Die US-amerikanische Plattform Lending Club beispielsweise hat zwischen Mai und Juli knapp 90% weniger Investitionskapital eingesammelt als drei Monate zuvor in demselben Zeitraum. Auf der Plattform Bondora haben die Investoren knapp 70% weniger Kapital investiert, bei Mintos sind die Investitionen um etwas mehr als die Hälfte eingebrochen. Mit knapp 5,5 Milliarden Euro Gesamtkapital gehört die estländische Plattform allerdings immer noch zu den fünf erfolgreichsten P2P-Marktplätzen weltweit. Und auch der Lending Club konnte in der Corona-Hochzeit immerhin noch knapp 270 Mio. US-Dollar einsammeln. Wie viel Kapital die Investoren in der Zwischenzeit abgezogen haben, geht aus dem Ranking allerdings nicht hervor. Und dennoch hält sich Lending Club wacker auf Platz 1 der erfolgreichsten Kreditvermittler.
Die Top 10 Peer-2-Peer Vermittler nach Kreditvolumen und Neuinvestitionen in den vergangenen 90 Tagen (Stand: 31. Juli 2020)
Für manche geht die Party längst wieder weiter
Ohne Zweifel hat die Corona-Krise dem P2P-Markt zugesetzt. Ein Blick auf aktuellere Zahlen zeigt aber auch, dass sich viele Plattformen inzwischen von dem Schock erholt haben - und sogar ansehnliche Gewinne machen.
Der Macher des Blogs P2P-Kredite.com hat eine Übersicht über die aktuellen Kreditinvestitionen im August erstellt. Das Ergebnis: Sowohl das lettische Peerberry als auch die Plattformen October, Swaper und EstateGuru konnten ihr Volumen im Vergleich zum Vorjahr steigern, teilweise sogar um 60%. Bei Bondora und Mintos dagegen werden (was das Kreditvolumen betrifft) nach wie vor rote Zahlen geschrieben. Mintos hat vor einem Jahr ganze 70% mehr Investitionskapital eingesammelt als diesen Sommer, Bondora sogar 80% mehr.
Trotzdem versichern zum Beispiel auch letztere, “stabil” durch die Krise zu kommen: “Die Rendite ist zwar leicht zurückgegangen, aber insgesamt gesehen haben die Portfolios in den letzten 7 Quartalen die Zielvorgaben übertroffen”, schreiben die Betreiber auf dem firmeneigenen Blog. Und weiter: “Die aktuellen Zahlen entsprechen mehr oder weniger dem Vormonat, und in einem Jahr voller Schwankungen wie diesem ist das sehr erfreulich”.
Wieder andere Plattformen haben zwar im Vergleich zum Juli 2020 weniger Kapital eingesammelt, konnten aber dennoch einen deutlichen Anstieg zum Vorjahr hinlegen.
Viele haben das Vertrauen in P2P verloren
Für einige Plattformen scheint die P2P-Party also längst wieder anzulaufen, den Corona-Dämpfer haben die meisten bisher unbeschadet überstanden. Auch Plattformen, deren neues Investitionsvolumen im Vergleich zum Vorjahr massiv eingebrochen sind, sehen keinen Grund zur Sorge: Bondoras “Go & Grow”-Angebot beispielsweise läuft nach eigenen Angaben derzeit so gut, dass das Unternehmen am Mittwoch mitteilte, ab sofort nur noch Einzahlungen von maximal 1.000€ pro Monat anzunehmen. Damit auch weiterhin “jeder ein Stück vom Kuchen abbekommt”, so die Erklärung.
Trotzdem ist die Kreditplattform in den vergangenen Wochen mächtig in die Kritik geraten. Abgesehen von technischen Fehlern war es vor allem die verzögerte Auszahlung der Investititonsbeträge, die viele deutschen Investoren-Community verärgerte. Bondora hatte das Investitionsvolumen von Go & Grow für eine Zeit eingefroren, als zu viele Investoren auf einmal ihr Kapital abziehen wollten. Die Kreditgeber konnten sich ihre Investitionen über Monate nur noch gestückelt auszahlen lassen.
Mintos dagegen hat die Krise offenbar stärker zugesetzt: Mehrere Kreditunternehmen wurden in den vergangenen Monaten wegen fehlender Liquidität suspendiert, während gleichzeitig vermehrt Kredite ausgefallen sind. Den größten Vertrauensverlust hat der P2P-Marktplatz aber durch eines erlitten: die veränderten Geschäftsbedingungen. Im Kern besagen diese nämlich folgendes: Rutscht ein Schuldner künftig in die Zahlungsunfähigkeit, dann werden - wie üblich - rechtliche Maßnahmen ergriffen, um die Schulden einzutreiben. Die Kosten, die hierbei entstehen, hat Mintos jetzt kurzum auf die Investoren abgewälzt. Sprich: Platzt ein Kredit, kann das Ganze künftig für Kreditgeber noch viel teurer werden.
P2P bleibt so riskant wie zuvor
Wie auch die Wirtschaft allgemein, hat die Corona-Krise den Kreditmarkt kräftig durchgerüttelt. Kreditzahlungen wurden ausgesetzt oder sind gar ausgefallen, Investoren haben panisch ihr Geld abgezogen und den Plattformen damit die Basis ihres Geschäftsmodells entzogen. Kurzum: Corona hat die P2P-Party schlagartig beendet. Inzwischen aber drehen sich die Disco-Kugeln langsam wieder - wenn auch nur teilweise. Die P2P-Branche ist für viele private Anleger nach wie vor eine attraktive Möglichkeit, ihr Geld renditereich anzulegen. Unveränderlich hoch sind allerdings auch die Risiken, mit denen jedes Kreditgeschäft einhergeht. Und die sich im Zuge der Corona-Krise für manch einen Kunden noch verschärft haben (man denke an die neuen AGBs bei Mintos).
Generell empfiehlt sich (nach wie vor), nicht mehr als einen einstelligen Prozentsatz des Gesamtvermögens in risikoreiche Kreditgeschäfte zu stecken. Auch tun Investoren gut daran, ihre Einzahlungen nicht nur über mehrere Länder, sondern auch über mehrere Plattformen zu streuen - für den Fall, dass ein oder mehrere Marktplätze pleite gehen.
Wie man als P2P-Investor mit der aktuellen Krise umgehen sollte, darüber haben wir schon in diesem Video informiert.
Kommentare (7)
F
Finanzfluss Team
sagt am 17. September 2020
Haben wir schon hier: https://www.finanzfluss.de/blog/p2p-grupeer-crash-was-jetzt-zu-tun-ist/ 🙂
E
Enrico
sagt am 11. September 2020
Siehe Foto
E
Enrico
sagt am 11. September 2020
Leider stimmt es doch….
D
Dom
sagt am 11. September 2020
Das hat sicher auch den Grund, dass die größeren Konten sich zukünftig zweimal überlegen, einen Großteil ihres Geldes abzuheben, da es danach entsprechend lange dauert, bis es wieder eingezahlt bzw. investiert ist.
Y
Yorgi
sagt am 11. September 2020
Ihr solltet mal was zu Grupeer schreiben
D
DanieMany
sagt am 11. September 2020
Finde den Bericht schon noch zu beschönigend für die präkäre & undurchsichtige Lage bei P2P. Gerade hier, wo es kein gutes Auditing gibt würde ich die Aussagen & Beweggründe der Anbieter stärker hinterfragen. Bondora „ab sofort nur noch Einzahlungen von maximal 1.000€ pro Monat anzunehmen. Damit auch weiterhin “jeder ein Stück vom Kuchen abbekommt”, so die Erklärung. „ Wer das wirklich glaubt wird noch viel Geld verlieren.
K
KeptnKlappstuhl
sagt am 11. September 2020
Zitat: „Die Kosten, die hierbei entstehen, hat Mintos jetzt kurzum auf die Investoren abgewälzt. Sprich: Platzt ein Kredit, kann das Ganze künftig für Kreditgeber noch viel teurer werden.“ Dies ist schlicht weg falsch und nicht richtig recherchiert. Mintos hat diese Passage der AGB auch klarer fomuliert.
Kommentar schreiben