Stell’ dir vor, es ist Rezession und keiner merkt’s
Erst wurde sie vorhergesagt, dann hielt man sie für abgewendet, jetzt ist sie doch da: die Rezession. Deutschlands BIP ist im ersten Quartal 2023 um 0,3% geschrumpft, im vorherigen um 0,5%. Damit befindet sich die Bundesrepublik offiziell in einer technischen Rezession, wie das Statistische Bundesamt Ende Mai vermeldete. Doch ohne die Nachricht der Behörde hätten das die meisten vermutlich gar nicht gemerkt. Denn Rezession ist nicht gleich Rezession. Womit wir es genau zu tun haben und wie es weitergehen könnte.
Technische Flaute: Das Ausmaß ist egal
Man muss als Erstes klären, mit welcher Art von Abschwung wir es zu tun haben. Denn Rezession ist nicht gleich Rezession. Sie kann unterschiedliche Auslöser und Folgen haben oder unterschiedlich lange dauern. Was der Bundesrepublik gerade attestiert wurde, ist eine technische Rezession. Davon spricht man, wenn das Bruttoinlandsprodukt (BIP), also der Wert der Waren und Dienstleistungen, zwei Quartale in Folge gesunken ist. Wie stark die Wertschöpfung eingebrochen ist, spielt keine Rolle – allein die Wiederholung ist entscheidend. Doch verglichen mit dem Anfangsjahr der Coronapandemie erscheinen die letzten beiden Abschwünge von unter einem Prozent beinahe nichtig. Im zweiten Quartal 2020 stürzte das BIP um sagenhafte 9,5% im Vergleich zum vorherigen ab.
Veränderung des BIP gegenüber dem Vorquartal (preisbereinigt)
Warum schrumpft die Wirtschaft?
Dass die Konjunktur schwächelt, kann mehrere Gründe haben. Im aktuellen Szenario ist vorwiegend die hohe Inflationsrate dafür verantwortlich. Trotz Lohnsteigerungen können sich die Menschen seit Monaten merklich weniger leisten und halten ihr Geld – gezwungenermaßen – zusammen. Das zeichnete sich schon 2022 ab: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts konsumierten deutsche Verbraucher im Vergleich zum Vorjahr 4,4% weniger Lebensmittel und alkoholfreie Getränke. Die Ausgaben für Strom sanken (preisbereinigt) um 0,5% und für Gas um 26,4%. Das ist einerseits erfreulich, schließlich wollte sich Deutschland von den russischen Energieimporten abkoppeln. Doch es bedeutet eben auch Umsatzrückgänge für Stromversorger und Gaskonzerne. Dramatische Worte fand dazu Andreas Scheuerle, Analyst bei der Dekabank, gegenüber tagesschau.de: „Unter der Last der immensen Inflation ist der deutsche Konsument in die Knie gegangen und hat die gesamte Volkswirtschaft mit sich gerissen“.
Prognosen gehen auseinander
Auf jeden Abschwung folgt der Aufschwung. So steht es in den Lehrbüchern und so haben es schon etliche Konjunkturzyklen zuvor bewiesen. Bloß: Wann es wieder bergauf geht, weiß man erst, nachdem es passiert ist. So herrscht unter Ökonomen des Landes derzeit auch Uneinigkeit darüber, was die Zukunft bringen wird.
Das Nachrichtenmagazin Business Insider hat die unterschiedlichen Prognosen der Organisationen, Institute, Banken und Verbände einmal zusammengetragen. Während etwa das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und der Internationale Währungsfonds (IWF) an optimistische 0,4% Wirtschaftswachstum im Gesamtjahr 2023 glauben, rechnet die Bundesbank mit Minus 0,5%, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Research-Abteilung der Deutschen Bank jeweils mit Minus 0,3%. 2024 dann dürfte das BIP wieder deutlich anziehen, schätzen die Bundesregierung (+1,8%), das Institut für Wirtschaftsforschung (+1,7%) und die OECD (+1,7%).
Technische Rezession muss nicht in die Depression führen
Nun fällt die technische Rezession, in der wir uns offiziell befinden, einerseits deutlich sanfter aus als manch anderer Abschwung. In der Finanzkrise 2008/09 etwa sank das BIP zeitweise um knapp 5% binnen drei Monaten. Schwächelt die Wirtschaft über einen längeren Zeitraum, wirkt sich das für gewöhnlich auf den Arbeitsmarkt aus. Stellenstreichungen, Entlassungen oder Kurzarbeit sind häufig die Folge einer gesunkenen Nachfrage oder Produktivität. Steigen die Arbeitslosenzahlen, kann sich der Abschwung noch verstärken: weil die Menschen noch weniger konsumieren, Unternehmen wiederum weniger einnehmen und zu Sparzwecken weitere Stellen streichen. Eine Dynamik, die sich selbst belebt.
Arbeitsmarkt „in einer stabilen Verfassung“
In Deutschland ist davon, zumindest bislang, wenig zu spüren. Im April und März lag die Arbeitslosenquote nach Angaben der Agentur für Arbeit bei 5,7% und damit nur leicht über dem Wert von April 2022 (5%). Insgesamt befinde sich der Arbeitsmarkt „in einer stabilen Verfassung“, kommentierte Andrea Nahles als Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit die Zahlen auf der jüngsten Pressekonferenz. Deswegen muss freilich nicht alles rosig sein. Auch nach der Finanzkrise 2008/09 stach Deutschland international mit einer vergleichsweise moderaten Arbeitslosenquote hervor. Während die Arbeitslosenzahlen in Ländern wie Spanien und den USA neue Rekorde brachen, entwickelte sich die Quote hierzulande zeitweise sogar leicht rückläufig.
Typisch für eine starke Rezession ist in vielen Fällen ein Rückgang der Preise. Momentan erleben wir bekanntlich das genaue Gegenteil. Auch wenn das ifo Institut zuletzt schätzte, dass die Inflationsrate im laufenden Jahr von derzeit 7,2% (April) auf etwa 6% nachlassen werde, warnte sie gleichzeitig davor, sich zu früh zu freuen. Ein merklicher Rückgang der Inflationsraten werde noch auf sich warten lassen, hieß es in der Diagnose vom Frühjahr 2023. Wäre das BIP im ersten Quartal nicht nochmals gefallen, hätte das Statistische Bundesamt also eher die Stagflation vermeldet: eine weitgehend stagnierende Wirtschaft, gepaart mit hoher Inflation.
Gründe für die Inflation ist ein knappes Angebot
Dass die Preise trotz schwächelnder Wirtschaft nicht sinken, hat jedoch mit den spezifischen Ursprüngen der aktuellen Krise zu tun. Schließlich ist die Konsumfreude bei den Verbrauchern eingebrochen, weil die Preise gestiegen sind – und zwar als Folge eines knappen Angebots. Noch immer belasten die in der Coronapandemie entstandenen Lieferengpässe einige Unternehmen und bremsen die Produktion aus, die Energiekrise hat die Lage noch verschärft. Wir haben es also nicht mit dem klassischen Aufeinandertreffen von geringer Nachfrage und riesigem Angebot zu tun, das in manch anderer Krise die Preise zum Einsturz gebracht hat.
Müssen wir uns Sorgen machen?
Kommt das böse Erwachen erst noch? Schlittern wir gerade in eine gefährliche Abwärtsspirale, die uns in ein paar Monaten in einer tiefen Depression ausspuckt? Solche Horrorszenarien verbindet man fast intuitiv mit dem Begriff „Rezession“, der nun wieder durch die Medien geistert. Dabei ist das BIP einer von mehreren Indikatoren, der Rückschlüsse auf die Konjunktur eines Landes zulässt. Arbeitslosenzahlen, die Auftragslage von Gewerbe und Dienstleistungen oder die Exportbilanz sind ebenso wichtig und können sich trotz sinkenden BIPs positiv entwickeln.
Überbewerten muss man die Meldung des Statistischen Bundesamts also nicht, ignorieren wäre aber auch der falsche Weg. Rein theoretisch kann sich die Situation durchaus verschlechtern, im schlimmsten Fall gravierend. Das Risiko einer Gasmangel-Lage im kommenden Winter ist nicht aus der Welt, kleine wie große Unternehmen können nach wie vor in Schieflage geraten und Mitarbeiter entlassen. Es wird sich zeigen, wie es kommt. Und ob es Politik und Notenbanken mit ihren fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen gelingen wird, die aktuelle Schwächephase möglichst kurzzuhalten.
Kommentare (8)
U
Ute Beate Quade
sagt am 08. Juni 2023
Habe extrem schlechte Erfahrungen mit der DKB Bank AG gemacht, nachdem ich bei einer Hotelbuchung nach Eingabe meiner Visa-Kreditkartennummer aus dem Portal geworfen wurde, das System hat meinen Namen und Karte nicht angenommen, muss ich annehmen, dass die DKB ein System von Begünstigung angelegt hat- wo Konten solventer Kunden - vermutlich auch mit (Ersatz)Karten Dritten " zur Nutzung " gibt. Das passierte am 01.06.23, worauf ich die dazuge- hörige Visa-Karte sperren ließ. Die DKB hat aus dieser n u r Kartensperre ein Kreditgeschäft ( Dritter ) gemacht, auch das Konto mit hohem Saldo auf 0 gesetzt- und dann eine Kartennummer eingegeben, die i c h jedenfalls nicht hatte. Heute, nach über einer Woche, erhielt ich eine neue Visa-Kreditkarte, die sich fast nicht von der Debitkarte unterscheidet, ich muss davon ausgehen, dass diese Karte schon beim Vorzeigen im Ausland nicht akzeptiert wird- da - fast-identisches Aussehen zur Debit. Kann man auf diese Weise wirklich glauben, dass dadurch " Wirtschaftsförderung" entstehen könnte- durch Tricks und Finanzmanöver ? Hoffentlich findet sich bald jemand, der die Korruption effektiver bekämpft, so dass wir nicht immer weiter im Ranking runter rutschen und solche Kommentare an der Tagesordnung sind.
F
Florian Haist
sagt am 02. Juni 2023
"Stell’ dir vor, es ist Rezession und keiner merkt’s"??!?!? Also wer das nicht schon vor gut 5 Jahren hat auf uns zukommen sehen, muss entweder sowas von abgehoben und arrogant sein, oder vertraut tatsächlich auf das, was unsere Regierung tagtäglich an Lügen verbreitet. Hier musste man lediglich 1 und 1 zusammen zählen um zu sehen, dass absurde Steuern, eine unkontrollierte Zuwanderung in die Sozialsysteme, vollkommen überzogene C-Maßnahmen und zu guter Letzt eine grün-sozialistische Ideologiepolitik, die mit aller Kraft durchgesetzt wird nur Verlierer zum Resultat hat (bis auf Blackrock und Co.) - oder besser: eine Rezession. Das Land mitsamt seiner Bewohner wurde für die nächsten Dekaden zum Entwicklungsland transformiert. Muss man halt nur begreifen. Aber was will man schon von einem Wirtschaftsminister erwarten, der nicht mal weiß was eine Insolvenz ist, oder von einem Bundeskanzler, dessen Strafregister mindestens Lebenslänglich bedeuten würde.
A
Anonym
sagt am 04. Juni 2023
Sehr geehrter Herr Hauser, danke für Ihre differenzierte und kluge Analyse. Bitte nennen Sie uns Ihren Ansatz, mich würde die Bezeichnung für Ihren wirtschafts- und ordnungspolitischen Ansatz interessieren. Wo sehen Sie die Vorbilder, wo es Ihrer Meinung nach gut oder ideal funktioniert. Mit freundlichen Grüßen F. Klepp
M
Martin
sagt am 02. Juni 2023
Hallo zusammen! Wieder einmal ein spannender Artikel! Danke dafür! Bei der Passage "Dabei ist das BIP einer von mehreren Indikatoren, der Rückschlüsse auf die Konjunktur eines Landes zulässt. Arbeitslosenzahlen, die Auftragslage von Gewerbe und Dienstleistungen oder die Exportbilanz sind ebenso wichtig und können sich trotz sinkenden BIPs positiv entwickeln." habe ich mich gefragt, ob es ggf. Quellen gibt, die diese gebündelt und im Zeitverlauf sowie mit Vergleich zu anderen Ländern, zur besseren Einschätzung, kennt? Quasi "Die wichtigsten Volkswirtschaftszahlen auf einen Blick". Würde mich über Rückmeldungen freuen. Beste Grüße
K
Kim
sagt am 02. Juni 2023
Ich habe versucht aus dem Text zu entnehmen - was ich daraufhin tun soll aber finde nichts. Also nichts tun und abwarten was passiert?
A
André
sagt am 02. Juni 2023
Ich bespare weiterhin wie vorher auch das Weltportfolio und verzichte auf Markettiming. Die Anlageentscheidung musst allerdings du treffen und du fragst die vollen Risiken (bei Aktien bis hin zum Totalverlust).
G
Gabriele
sagt am 02. Juni 2023
ich für meinen Teil werde einfach stur weiter in investieren in ETF's, Aktien und Crypto, fertig.
S
Sandra
sagt am 02. Juni 2023
Ist Crypto genau jetzt nicht zu volatil ? Die letzten Tage bin ich genau darüber am nachdenken, ob ich nicht meine 'Crypto-Investitionen' in ETFs verschieben soll
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