Skimpflation: Weniger Spinat im Spinat
Der Verbraucher ist ein sensibles Geschöpf. So scheinen es jedenfalls die Hersteller von Produkten zu sehen. Sie setzen alles daran, ihre Kunden nicht zu erschüttern oder gar zu erzürnen – etwa mit astronomischen Preisen. So ließ sich der Einzelhandel schon so manches einfallen, um das Seelenheil seiner Kunden zu schonen. Die neueste Idee nennt sich “Skimpflation”. Das Wort stammt von “to skimp” und bedeutet so viel wie “einsparen”, oder “knausern”. Statt geradeheraus die Preise zu erhöhen, sparen Hersteller lieber bei der Qualität der Produkte. Sie tauschen Sonnenblumenöl gegen Palmfett, entziehen dem Weinbrand seinen Alkohol oder verlängern die Zutatenlisten um Zusatzstoffe, um sich teurere Alternativen zu sparen. Einige Produkte werden seit Kurzem sogar billiger produziert und zugleich teurer angeboten. Die Händler erhöhen also trotz sinkender Qualität die Preise – und damit ihre Gewinnmargen.
Die Skimpflation stammt aus derselben Schublade wie die Shrinkflation – ein Phänomen, das vor allem 2022 Schlagzeilen machte. Wir erinnern uns: Hersteller schrumpften den Inhalt ihrer Produkte, füllten eine Teepackung beispielsweise nur noch mit 150 statt 250 Gramm, ohne den Preis in gleichem Maße nach unten zu korrigieren. Zur “Mogelpackung des Jahres 2022” kürte die Verbraucherzentrale Hamburg die Margarine Rama. Die Packungsgröße verkleinerte sich von 500 auf 400 Gramm, während der Preis (2,19€) derselbe blieb.
Robusta statt Arabica
Seit Monaten laufen bei der Verbraucherzentrale nun auch “Skimplation”-Beschwerden verärgerter Kunden ein. Die meisten stammen aus dem Supermarktregal und reichen von Rahmspinat, der nur noch zu 67% aus Spinat besteht (statt vormals 88%) bis zum Frischkäse mit weniger Rahm und dafür mehr Magermilchjoghurt. Die Verbraucherzentrale Hamburg führt inzwischen Liste über die Beobachtungen. So kann man dort nachlesen, dass Edeka sein Vanilleeis inzwischen nicht mehr aus Schlagsahne herstellt, sondern aus Kokosfett. Und bei Adelholzener schaffen es statt 55% inzwischen nur noch 50% Apfelsaft in die Apfelschorle.
Manchmal stellen die Verbraucherschützer auch erst mal nur Vermutungen an: So ließ Aldi Nord auf seinem hauseigenen Kaffee den Schriftzug “100% Arabica“ entfernen. Die Verbraucherzentrale spekuliert: “Teilweise kann Arabica-Kaffee durch Robusta ersetzt sein”. Eine Sorte, die laut Verbraucherzentrale auf dem Weltmarkt günstiger zu haben ist als Arabica.
Berichten aus Großbritannien zufolge ist die Skimplation längst auch in Modegeschäfte und Drogerien vorgedrungen. So zitiert der britische Guardian unter anderem Expertenstimmen, die auf minderwertige Qualität bei Textilien verweisen: Einzelhändler würden höhere Kosten zum Beispiel dadurch ausgleichen, “dass sie minderwertige Stoffe kaufen oder diese billiger herstellen.” Auf dem Kleiderbügel im Laden mag der Unterschied nicht auffallen, doch könnten sich die Wasch- und Trageeigenschaften dadurch stark voneinander unterscheiden. In Großbritannien gehört die Skimpflation schon seit beinahe anderthalb Jahren zum Alltag. “Flug storniert? Schlechte Kleidung? Enttäuschendes Essen? Schuld daran ist die Skimpflation”, titelte der Guardian bereits im Juni 2022.
Skimplation auch im Service
Während sich Shrinkflation vor allem in den Gängen der deutschen Supermärkte abspielt, taucht Skimpflation auch häufig im Dienstleistungssektor auf. Etwa in Form von Personalmangel am Flughafen, im Restaurant oder in der Bankfiliale. Hotels schließen früher, Cafés richten Ruhetage ein und statt drei Kassierern sitzen ab 18 Uhr vielleicht nur noch zwei Menschen an den Kassenbändern. Auch kann es passieren, dass Kunden plötzlich zwei statt anderthalb Stunden in der Telefon-Hotline hängen oder vier statt drei Wochen auf ihre Möbellieferung warten. Skimplation im Service bedeutet also vor allem Verzögerungen und schlechteren Service – derweil für das Personal oftmals der Zeitdruck steigt.
“Kein Mensch hebt alte Produkte auf”
Während einem die Veränderungen im Lieblingsrestaurant oder im Supermarkt nebenan nicht lange verborgen bleiben werden, lassen sich Knausereien im Supermarkt oftmals nur schwer identifizieren. Die “Trickserei” sei noch schwerer zu erkennen als bei der Shrinkflation, schreibt die Verbraucherzentrale Hamburg auf ihrer Website. Schließlich müsse man alte und neue Zutatenlisten nebeneinander legen können, um die “in der Regel schlechtere Produktqualität” zu entlarven. “Doch kein Mensch hebt alte Produkte auf oder kennt deren Rezepturen.” So gehen die Verbraucherschützer von einer hohen Dunkelziffer in Sachen Skimpflation aus: “In welchem Ausmaß Skimpflation von Herstellern angewendet wird, ist uns nicht bekannt.” Hinweise auf Schummelei könnten aber Schilder wie “Neue Rezeptur” oder “verbesserte Rezeptur” auf der Packung sein, schreiben die Verbraucherschützer.
Firmen argumentieren mit “Kundenpräferenzen”
Was sagen die Hersteller selbst zu ihren Skimpflation-Praktiken? Die Verbraucherschützer aus Hamburg wollten es wissen. Sie konfrontierten die Firmen mit den Kundenbeschwerden – und erhielten bemerkenswert gleichförmige Antworten, stets mit Verweis auf das Kundenwohl. So schrieb etwa eine Firma: „Wir berücksichtigen (…) die aktuellen Geschmackspräferenzen vieler Konsumenten (…)”. Von einem anderen Unternehmen hieß es: „Mit dieser Anpassung entsprechen wir dem Wunsch unserer Verbraucher nach einem weniger intensiven Schokoladengeschmack (…)”. Ein Drittes meint: „Die optimierten Rezepturen wurden als geschmacklich ausgewogen bewertet, sodass wir uns zur Markteinführung entschlossen haben. (…)“.
Skimpflation ist legal
Was einem als Verbraucher wie Gaunerei par excellence erscheinen mag, ist in Wahrheit kein Verstoß gegen geltende Gesetze. Denn sowohl mit der Shrinkflation als auch mit der Skimplation bewegen sich die Hersteller auf legalem Terrain. “Die Verringerung des Verpackungsinhalts oder die Substitution teurer Produktbestandteile durch günstigere Alternativen bei Beibehaltung eines konstanten Preisniveaus ist grundsätzlich nicht verboten”, schreibt unter anderem Christopher Maasz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Marketing und Handelsbetriebslehre an der Philipps-Universität Marburg in der Fachzeitschrift “WiSt”. Maasz verweist darauf, dass sich im Lebensmittel- und Eichrecht keine eindeutigen Regulierungen finden, die derlei Praktiken verbieten würden. Das Eichrecht legt fest, welche rechtlichen Vorgaben für verpackte Lebensmittel gelten. Und lässt offensichtlich reichlich Spielraum, was die Anpassung von Produktmengen oder -inhaltsstoffen geht. Lediglich für “übergroße Verpackungen (sog. „Mogelpackungen“)” oder “irreführende Informationen auf Verpackungen” existierten “rechtliche Rahmenbedingungen, die von Herstellerunternehmen eingehalten werden müssen”, so Maasz. Abweichungen sind also erlaubt.
Darauf verwies vergangenes Jahr schon die Verbraucherzentrale im Rahmen der Shrinkflation:
So darf beispielsweise eine 100-Gramm-Tafel Schokolade 4,5 Gramm leichter sein. Bei einer 500-Gramm-Packung Müsli werden 485 Gramm toleriert. Erst wenn das Müsli unter 470 Gramm wiegen würde, wäre die Packung nicht mehr verkehrsfähig und dürfte in dieser Form nicht mehr verkauft werden.Verbraucherzentrale
Unlauteren Wettbewerb kann man den Herstellern schon deshalb nicht vorwerfen, weil sie die Veränderungen nicht nachweislich verheimlichen. Die Zutatenlisten auf der Rückseite werden stetig angepasst, sobald sich etwas ändert. Nur haben eben die wenigsten im Kopf, wie hoch noch vor zwei Wochen der Anteil des Magermilchjoghurts im Frischkäse war. Einer konkreten Verpflichtung, die Veränderungen etwa durch zusätzliche Hinweise auf der Vorderseite kenntlich zu machen, unterliegen die Hersteller nicht. Und damit haben Verbraucherschützer nichts in der Hand, um gegen Skimpflation vorzugehen. Anders gesagt: Es bleibt Sache der Verbraucher, die Qualitätsunterschiede wahrzunehmen und zu bewerten.
Bei der Nichtregierungsorganisation Foodwatch möchte man das nicht hinnehmen: Sie forderte unlängst von den Lebensmittelherstellern “transparentere Informationen bei Änderungen ihrer Produkt-Rezepturen”. Es könne nicht sein, “dass Verbraucherinnen und Verbraucher, die ohnehin inflationsbedingt beim Einkaufen tiefer in die Tasche greifen müssen, auch noch schlechtere Qualität erhielten”, sagte eine Foodwatch-Sprecherin gegenüber dem Nachrichtendienst dpa.
Sind die Händler schuld?
Eine schnelle und einfache Lösung für versteckte Preiserhöhungen gibt es nicht. Zumal nicht einmal klar ist, wen man eigentlich zur Verantwortung ziehen müsste. Sind es vielleicht doch eher die Händler, sprich: die Supermärkte, die die Hersteller erst zur Trickserei drängen?
“Der Handel möchte Preissteigerungen der Hersteller nicht akzeptieren und nicht an den Kunden weitergeben”, schreibt Christopher Maasz. Teilweise seien die Händler sogar bereit, die betroffenen Produkte oder Marken aufzulisten. Maasz verweist auf den Zwist zwischen Edeka und dem Getränkekonzern PepsiCo im Jahr 2022. Nachdem PepsiCo höhere Preise für seine Getränke durchsetzen wollte, nahm der Händler die Produkte kurzerhand aus dem Sortiment. Der Preisstreit ist kein Einzelfall: Nach Informationen der Lebensmittelzeitung lagen auch Konzerne wie Beiersdorf und der Nahrungsmittelhersteller Mars mit großen Handelsgesellschaften wie Edeka und Rewe im Clinch.
“Kundenzufriedenheit sinkt auf breiter Front”
Tricksereien im Hinblick auf das Preis-Leistungs-Verhältnis hinterlassen ihre Spuren. Nicht nur im Portemonnaie, sondern auch bei der Stimmung der Verbraucher. Im Vereinigten Königreich erreichten die Kundendienstbeschwerden nach Information des Institute of Customer Service (ICS) vor Kurzem ein neues Rekordhoch. Und auch in der Bundesrepublik sind die Kunden unzufriedener als im letzten Jahr, glaubt man dem Kundenmonitor des Forschungsunternehmens ServiceBarometer AG, das seit den 1990ern den Gemütszustand der Verbraucher einfängt. “Die Kundenzufriedenheit sinkt erstmals auf breiter Front”, vermeldete das Unternehmen im September. Vor allem Lebensmittelmärkte und Drogerien verloren in Sachen Preis-Leistungs-Beurteilung bei den Kunden an Beliebtheit. Und möchte man optimistisch in die Zukunft blicken, könnten solche Meldungen hoffnungsvoll stimmen. Denn auch wenn es derzeit nicht so wirkt: Auf dem kapitalistischen Markt steht nach wie vor der Konsument im Zentrum. Er ist es, den Firmen als Kunden gewinnen und halten möchten. Und so werden sich Preiserhöhungen zumindest nicht unendlich ausreizen lassen.
Kommentare (8)
C
C.
sagt am 17. November 2023
Die Verringerung des Inhaltes müsste bei gleichen Preis muss verboten werden oder Verfügt werden wenn der Inhalt weniger ist als zu vor muss der Preis gesenkt werden dazu braucht es jetzt endlich gesetzliche Regelungen.
J
Joerg
sagt am 02. November 2023
Hallo, eine Frage an das Team (vielen Dank fuer Eure Muehe❤). Koenntet ihr Euch vorstellen, auch unter den Podcasts ein Diskussionsfaden zu ermoeglichen? (oder im Blog-Bereich eine Verlinkung zum Podcast einbauen?) Ich wuerde zB gerne Podcast #441 Mit dem Balkonkraftwerk Geld sparen kontrovers diskutieren. LG Joerg
J
Joerg
sagt am 02. November 2023
wenn ich gerade dabei bin: Ich nutze Blogs und Kommentarbenachrichtungen per Feedbro (RSS Reader). Ihr habt aber weder die Blogs noch die Kommentarbereiche als reader-abonnierbar ausgestaltet. FALLS ihr eine regere Kommentar-Verwendung anstreben wuerdet (Muehe/Arbeit?), sollten sowohl Blog-Texte als auch Kommentare reader-abonnierbar sein. Sonst wird der Blog weniger Verbreitung erlangen? Allerdings ist Blog/Kommentare viell. auch mehr was fuer aeltere Zielgruppen ... LG Joerg
C
Christoph Schmidt
sagt am 27. Oktober 2023
Letztendlich liegt es ja an uns Verbraucher: Wenn wir uns "verschaukelt" fühlen, weil die Rezeptur geändert wurde oder die Menge geringer wurde, dann können wir das Produkt ja im Regal liegen lassen - und auf mögliche "no name"-Alternativen zurück greifen. Spätestens dann werden die (Marken-) Hersteller sich überlegen, ob sie dieses Spiel weiter treiben wollen. Wie heißt es doch: "Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht!" Lasst es krachen! ;-)
S
S. K.
sagt am 27. Oktober 2023
Gibt es eine Seite für den Vergleich von vorher vs nachher?
J
Julia
sagt am 27. Oktober 2023
Stell dir mal vor, du bist gegen eine Zutat allergisch und hast ein Produkt gefunden, was du essen kannst, weil diese Zutat nicht enthalten ist. Und dann wird es zufällig zugesetzt, weil es billiger ist und es fällt dir nicht auf. Happy Birthday :o
N
Nora
sagt am 27. Oktober 2023
Hatte den gleichen Gedanken. Ein „neue Rezeptur“-Hinweis vorne auf der Packung sollte verpflichtend sein.
T
Thomas
sagt am 27. Oktober 2023
Als Allergiker passt man da in der Regel immer auf. So kann es z. B. sein, dass ein Schokoriegel aus Werk A Erdnussspuren enthalten kann, der gleiche Riegel aus Werk B aber nicht, weil dort keine Erdnussprodukte verarbeitet werden. Das erkennt man aber nicht an der Verpackung, sondern nur an der Beschreibung der Inhaltsstoffe. Das ist beispielsweise bei M&Ms der Fall...
Kommentar schreiben