Die Sache mit den Staatsanleihen oder: Das Anleihen-Desaster
Achja, die Bundesanleihe. Die ist auch nicht mehr das, was sie mal war, würde der Nostalgiker wohl sagen. Schließlich konnte man vor 50 Jahren noch ein kleines Vermögen mit dem Kauf von Staatsanleihen anhäufen. Wer der deutschen Regierung sein Erspartes geliehen hat, bekam zwischenzeitlich bis zu 10% Zinsen darauf - und das zu einem geringen Risiko. Da ist es kaum verwunderlich, dass es in den Hochzinsphasen der 70er und 80er Jahre einen wahrhaften Run auf die Bundeswertpapiere gab.
Inzwischen ist die Finanzwelt eine gänzlich andere und zumindest in Sachen Staatsanleihen scheinen sich die Gesetze (hierzulande) umgekehrt zu haben: Wer dem deutschen Staat finanziell unter die Arme greift, wird dafür nicht nur nicht mehr entlohnt, sondern muss sogar draufzahlen. -0,67 % Zinsen gibt es für die zweijährige Staatsanleihe. Wer also dem Staat für 10 Jahre 100.000€ leiht, wird am Ende nur 93.500€ zurückbekommen. Ja, das ist ein miserables Geschäft. Und dennoch setzen viele Privatanleger auf Staatsanleihen - sei es, um von steigenden Kursen zu profitieren oder um sich vor Krisen abzusichern. Aber wie sinnvoll ist das? Und wie empfehlenswert sind eigentlich italienische oder gar venezolanische Staatsanleihen, bei denen es noch eine satte Rendite gibt?
Noch mehr Infos findest du in unserem Video mit Anleihen-Experte Philipp Degenhard.
Lohnen sich Staatsanleihen?
“Mit Anleihen werden Sie Ihr Geld niemals verzehnfachen, es sei denn, dass Sie waghalsige Spekulationen mit Anleihen eingehen, deren Rückzahlung fraglich ist”, hat schon Peter Lynch geschrieben, den viele nur als “Aktien-König” kennen.
Der einstige Fondsmanager trifft damit den Nagel auf den Kopf: Europäische Staatsanleihen werfen so gut wie keine Zinsen mehr ab, oder noch extremer: Sie rentieren negativ wie im Falle Deutschland. Aber woran liegt das eigentlich?
Um das zu beantworten, muss man sich erst einmal anschauen, was Staatsanleihen eigentlich sind und wie sie funktionieren:
Was sind eigentlich Staatsanleihen?
Wie auch Unternehmen und Privatpersonen brauchen Regierungen Geld, um in neue Projekte investieren oder ganz einfach ihren Haushalt finanzieren zu können. Dazu bedienen sie sich an Steuergeldern, nehmen aber auch Kredite auf - indem sie Staatsanleihen herausgeben. Sowohl Institutionen und Organisationen als auch Firmen und Privatpersonen können Staatsanleihen kaufen - und zwar über einen vorher festgelegten Zeitraum (dieser kann von ein paar Monaten bis hin zu 30 Jahren reichen) und zu einem festgelegten Zinssatz. So das eigentliche Prinzip, das in den wirtschaftsstärksten Nationen der Welt allerdings längst nicht mehr funktioniert.
Sie unterscheiden sich somit fundamental von Aktienanleihen, bei denen der Investor einem Unternehmen, anstelle eines Staates Geld leiht.
Die Zinsen sind im Keller
Der Grund dafür: Länder wie Deutschland, die Niederlande, Schweden, Australien oder Norwegen sind schlichtweg zu kreditwürdig, um für ihr Darlehen Zinsen zahlen zu müssen. Wie es um die Bonität eines Staates bestellt ist, darüber entscheidet ein bekanntes Dreigespann: Moody’s, Fitch und Standard & Poor’s - die drei großen US-Ratingagenturen, die regelmäßig die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen, Wertpapieren und eben auch Staaten unter die Lupe nehmen. Relevant sind zum Beispiel die Gesamtschulden, aber auch die Schulden im Verhältnis zum BIP, also der Wirtschaftskraft des Landes.
Mit der absoluten Bestnote (AAA) schneiden im aktuellen Rating (April 2020) nur die Schweiz, die Niederlande, Luxemburg und Deutschland ab. Als immer noch liquide (AA) gelten unter anderem Staaten wie Frankreich, Belgien oder Abu Dhabi, ebenso Österreich, die USA und Finnland (AA+).Renditeübersicht zu aktuellen europäischen (alle in EUR) und ausgewählten internationalen (alle in der jeweiligen Landeswährung) Staatsanleihen:
Stabil seien dagegen Staaten wie Spanien, Malta, Italien oder Griechenland, urteilen die “großen Drei”, während Staatsanleihen aus Zypern, Bangladesh, Vietnam, Russland oder der Türkei als eher spekulative Papiere gelten. Für den Anleger bedeutet das ein höheres Risiko - aber auch höhere Zinsen. Wer eine italienische Staatsanleihe für 30 Jahre hält, bekommt darauf jährlich 1,95% Zinsen, in Deutschland muss nach wie vor draufgezahlt werden. Noch mehr Gewinn winken außerhalb von Europa: Venezuela beispielsweise, das seit Jahrzehnten immer wieder von Wirtschaftskrisen geplagt ist und schon mehrmals nur knapp die Insolvenz abwenden konnte, muss seinen Gläubigern pro 10-jähriger Anleihe knapp 13% Zinsen zahlen. Auch den argentinischen Staat kommen die Darlehen teuer zu stehen: Weil das Land quasi von einem Staatsbankrott in den nächsten taumelt, erhalten Gläubiger satte 7,25% Zinsen pro Jahr auf eine hundertjährige Anleihe.
Hohe Verluste bei der Staatspleite
Natürlich unter der Bedingung, dass der Schuldnerstaat über die Laufzeit zahlungsfähig bleibt - und dafür stehen weder in Venezuela noch in Argentinien die Chancen besonders gut. Und doch gehen viele, vor allem professionelle Investoren immer wieder aufs Ganze und stecken gigantische Summen in die krisengeplagten Länder. Wie das für den Anleger enden kann, weiß Philipp Degenhardt, Credit-Risk-Manager bei einem großen deutschen Assetmananger. “Als im Sommer 2019 in Argentinien ein Regierungswechsel anstand und sich abgezeichnet hat, dass es der neue Präsident nicht sonderlich genau nimmt mit der Rückzahlung, wollten alle Gläubiger so schnell wie möglich raus”. Und tatsächlich: Wenige Monate später verkündete Argentinien die Staatspleite, die Investoren erhielten knapp die Hälfte ihrer Einlagen erstattet, erinnert sich Philipp. Immerhin, muss man sagen. Wer bis 2012 griechische Staatsanleihen gehalten und das Land in den finanziellen Abgrund begleitet hat, bekam gerade mal ein Viertel seines Investments zurück - und zwar in Form neuer Schuldscheine.
Wer in argentinische Pesos oder US-amerikanische Dollar investiert, geht immer auch ein Währungsrisiko ein. Sprich: Verliert die Fremdwährung an Wert, wird der Anleger nicht sein volles Darlehen zurückgezahlt bekommen. Andersherum besteht natürlich immer auch eine Währungschance: Gewinnt die Währung der Gegenseite an Kraft, wird dem Gläubiger entsprechend mehr Erlös zugesprochen. Vor allem in wirtschaftlich instabilen Ländern, an deren Spitze zu allem Überfluss meist noch ein korruptes Regierungsoberhaupt sitzt, stehen allerdings eher Währungskrisen und Hyperinflationen an der Tagesordnung.
Kursschwankungen
Neben Zinszahlungen gibt es aber noch eine andere Möglichkeit, mit Staatsanleihen Geld zu verdienen: Nämlich durch Kursschwankungen. Genau wie Aktien werden nämlich auch Anleihen an der Börse gehandelt. Angebot und Nachfrage entscheiden über den Börsenwert und können dem Anleger Gewinne oder Verluste bescheren.
Wie sich die Kurse entwickeln, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Wird beispielsweise der Leitzins erhöht, ist es wahrscheinlich, dass “alte” Anleihen mit miserablen Zinsen weniger gefragt sind, wenn es plötzlich “neue”, rentablere Anleihen zu kaufen gibt. Auch können die Kurse der Aktienindizes hereinspielen: Gehen der DAX, der Dow Jones und der S&P500 beispielsweise durch die Decke, haben die meisten Anleger erst mal mehr Lust auf Aktien - die Anleihen verlieren an Wert.
Genauso gut können Anleihen, vor allem die “sicheren” unter ihnen, plötzlich zum Zufluchtsort ängstlicher Anleger werden, die in Crash-Zeiten um ihre Einlagen fürchten.
Und damit wären wir bei einem altbekannten Mythos, der sich um “verlässliche” Staatsanleihen rankt:
Hier findest du den 2. Teil des Interviews!
“Deutsche Staatsanleihen sind ein sicherer Hafen”
Aber stimmt das überhaupt? Nun ja - sollte das weltweite Bankensystem zusammenbrechen, hätten Käufer von unrentablen Bundesanleihen erst einmal die besseren Karten. Ansonsten gilt eben: Wie sicher eine Staatsanleihe ist, hängt von der Zuverlässigkeit der Regierung ab. Wer sein Geld im Haushalt von Deutschland, Luxemburg oder den USA parkt, schraubt sein Pleite-Risiko tatsächlich nahe Null. Allerdings kann das Gesparte dann genauso gut auf dem Sparbuch liegen, wo es keinerlei Zinsen abwirft und langsam aber sicher von der Inflation aufgefressen wird.
Ein Totalverlust mit deutschen Staatsanleihen ist dennoch so gut wie ausgeschlossen, weswegen zum Beispiel auch viele Institutionen, Pensionsfonds, Krankenversicherer und auch Banken (wie die EZB) einen Teil ihrer Einlagen in solche Staatsanleihen stecken, die nichts mehr abwerfen, dafür aber ausgesprochen sicher sind. Denn sie sind häufig gesetzlich dazu verpflichtet, einen großen Teil der Anlegergelder risikolos anzulegen.
Anleihen als Ausgleich im Depot
Tatsächlich können Anleihen von Staaten mit einer hohen Bonität in gewisser Weise für Sicherheit sorgen - nämlich indem sie andere Verluste “auffangen”. Schließlich entwickeln sich die Kurse von Aktien und Anleihen häufig konträr zueinander. Rauschen mehrere Einzeltitel oder gar ganze Indizes in den Keller, schichten viele Anleger ihr Erspartes in Anleihen um und wetten auf Kursgewinne. Im Falle deutscher Staatsanleihen ist diese Rechnung bisher noch nicht aufgegangen: Die Bundesanleihe hielt sich trotz Corona so niedrig wie zuvor, während die Kurse US-amerikanischer Staatsanleihen in wenigen Wochen um fast 8% zulegten. An den Schuldzinsen hat sich für die großen Welt-Wirtschaftsnationen durch die Pandemie übrigens nicht viel verändert. Und das, obwohl es die meisten Länder der Bundesregierung gleichgetan haben, die gleich zu Anfang wirtschaftspolitische “Bazooka” ausgepackt und sich inzwischen 12-stellig (ja, 12-stellig) verschuldet hat. Einzig Kanada hat nun wegen seiner massiven wirtschaftlichen Einbußen seine Bestnote von den Agenturen abgesprochen bekommen.
Eine Mischung im Depot kann die Schwankungsbreite also durchaus verringern. Trotzdem: Den Verlust sollte man dabei einrechnen, der sich durch die Negativzinsen über die Jahre zu einer beachtlichen Summe summieren kann.
Also: Staatsanleihen sind derzeit keine rentable Anlage
Die eigentliche Idee hinter Staatsanleihen ist keine schlechte: Privatanleger können zu Gläubigern werden und sich so über Jahrzehnte ein ordentliches passives Einkommen anhäufen. Bis in die 1990er Jahre mag das auch in Wohlstandsnationen wie Deutschland funktioniert haben - heute aber müssen Anleger sogar blechen, vertrauen sie dem Staat ihr Geld an.
Für ein tatsächliches Investment, bei dem langfristig (oder auch kurzfristig) Rendite erzielt werden soll, eignen sich sichere Staatsanleihen wegen der Negativzinsen also nicht. In solchen Ländern, in denen die Rendite attraktiv ist, sind die Risiken eines Totalverlusts dagegen gigantisch. Hinzu kommt das Währungsrisiko wenn die Anleihen nicht in Euro ausgegeben werden.
Öffentliche Institutionen und Banken haben gar keine andere Wahl, sie dürfen das Geld ihrer Kunden vielfach nur risikoarm und in super-sicheren Anlagen parken. Einen risikoarmen Teil sollte zwar auch das Depot von Privatanlegern beinhalten. Allerdings eignen sich (deutsche) Staatsanleihen nicht einmal hierfür. Denn wie gesagt: Das Geld verliert an Wert, während auf dem Tagesgeld immerhin Zinsen im Plusbereich winken (dass diese ebenfalls kaum mehr von Bedeutung sind und sich das mittel- bis langfristig auch ändern kann, sei hier mal außen vor gelassen). Die besten Tagesgeldkonten kannst du übrigens in unserem Tagesgeld-Vergleich finden.
Die gute Nachricht für alle Nostalgiker ist: Regelmäßige Zinszahlungen, wie sie vor 50 Jahren die Staatsanleihen garantiert haben, gibt es auch heute noch - zumindest gewissermaßen. Schließlich schütten viele an der Börse gelistete Unternehmen regelmäßig Dividenden aus.
Zu guter Letzt findest du hier den 3. Teil unseres Videos.
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