Die Deutschen sind reicher als gedacht
Die Grundlage: eine Studie
Auslöser dieser Schlagzeilen war eine Studie von drei Forschern der Humboldt-Universität Berlin, des DIW Berlin und der Universität Bonn mit dem Titel „Wealth and Its Distribution in Germany“. Darin wurde das Vermögen der Deutschen von 1895 bis 2018 ausgewertet. Da die Verfasser der Studie die Vermögen auf eine andere Art geschätzt haben, als offizielle Stellen dies tun, sind sie zu dem Schluss gekommen, dass das Vermögen in Wirklichkeit viel höher ist als lange Zeit angenommen.
Die Neueinschätzung der Vermögen kommt hauptsächlich zustande, weil Immobilienvermögen und Betriebsvermögen anders bewertet wurden. Da es in Deutschland keine Vermögenssteuer gibt, gibt es auch keine präzisen Erhebungen der jeweiligen darüber.
Um etwa Immobilienvermögen zu schätzen, wurden in der Vergangenheit sogenannte Einheitswerte herangezogen, die auch bei der Erhebung der Grundsteuer Anwendung gefunden haben. Diese sind jedoch veraltet und bilden die heutige Bewertung nicht mehr ab. Auch Betriebsvermögen sind in Deutschland besonders schwer zu schätzen, da der Anteil der nicht börsennotierten Unternehmen recht hoch ist. Börsennotierte Unternehmen haben den Vorteil, dass sie deutlich transparenter sind.
Gesamt | Steigerung durch Neubewertung | |
---|---|---|
Immobilienvermögen | 10 Bio.€ | 2 Bio.€ (+25%) |
Betriebsvermögen | 4 Bio.€ | 2 Bio.€ (+100%) |
Die Neubewertungen der Vermögen fielen entsprechend drastisch aus: Die Verfasser der Studie stellten fest, dass das deutsche Immobilienvermögen rund 10 Billionen Euro beträgt und somit 2 Billionen (25%) höher ist als bislang angenommen. Das Betriebsvermögen ist mit einer Korrektur von 2 auf 4 Billionen Euro sogar doppelt so groß wie offiziell angenommen.
Vermögensentwicklung der Top 1%
Um zu bewerten, wie das Vermögen verteilt ist, lohnt sich ein Blick auf das Vermögen der reichsten 1%. Hierbei handelt es sich um das eine Prozent der Bevölkerung, das am meisten Vermögen hat. Da es in Deutschland ca. 83 Mio. Einwohner gibt, sind also die 1% der reichsten 830.000 Personen.
Die obige Grafik zeigt, wie viel Vermögen diese 1% der Vermögendsten besitzen. Im Jahr 1985 besaß diese Gruppe etwa die Hälfte des gesamten Vermögens. Anschließend stellt man fest, dass sich dieser Anteil halbiert hat. Das liegt an zahlreichen Krisen, die seitdem stattgefunden haben: unter anderem an dem Ersten Weltkrieg, der Hyperinflation in den 1920er-Jahren, der Weltwirtschaftskrise in den 1930er-Jahren und schlussendlich dem Zweiten Weltkrieg. Vor allem der Zweite Weltkrieg hat durch die Zerstörung viel Immobilienvermögen vernichtet, während die anderen Krisen hauptsächlich Betriebsvermögen haben schrumpfen lassen.
All diese Krisen haben das Vermögen der Vermögendsten von knapp unter 50% auf 27% im Jahr 2018 fast halbiert. Seit den 1950er-Jahren ist der Vermögensanteil wiederum langsam, aber stetig gestiegen.
Ist Deutschland also im vergangenen Jahrhundert gleicher geworden? Zumindest ein Blick auf das Vermögen der vermögendsten 1% der Bevölkerung legt dies nahe. Und in der Tat haben Kriege und Krisen häufig den Effekt, dass Vermögen in Zukunft gleichmäßiger verteilt wird. Denn wer kaum Vermögen hat, kann durch eine Krise nicht viel verlieren – im Gegensatz zu denjenigen, bei denen aufgrund des hohen Vermögens besonders viel auf dem Spiel steht.
Betrachtet man hingegen auch andere Bevölkerungsschichten, ist die Vermögensverteilung nicht unbedingt gleicher geworden. Insbesondere seit der Wiedervereinigung 1990 konnte die obere Vermögenshälfte der Bevölkerung, also die Top 50%, ihr Vermögen verdoppeln. Das Vermögen der unteren Hälfte hingegen stagnierte.
Vermögen im internationalen Vergleich
Auch im internationalen Vergleich ist der Effekt zu sehen: Kriege und Krisen haben im vergangenen Jahrhundert viel Vermögen vernichtet. Vor allem in den letzten Jahrzehnten ist das Vermögen der reichsten 1% der deutschen Bevölkerung vergleichsweise stagniert. Insbesondere in den USA hat diese Schicht einen zunehmend höheren Vermögensanteil auf sich vereinigt.
Aus verschiedensten Gründen lassen sich Gesamtvermögen unterschiedlicher Länder schwer miteinander vergleichen: Unter anderem, weil etwa die Lohnniveaus oder die Rentensysteme unterschiedlich sind. Daher haben die Verfasser der Studie das Verhältnis aus Einkommen und Vermögen betrachtet und zwischen den Ländern verglichen.
Hier zeigt sich, dass Deutschland in den letzten Jahrzehnten stark an Wohlstand gewonnen hat und verglichen mit den USA, Frankreich und Schweden sogar wohlhabender ist. Einzig Großbritannien hat in diesem Vergleich die Nase vorn.
Ab wann ist man in Deutschland reich?
Bereits viele Wissenschaftler haben sich mit der Frage beschäftigt, ab welchem Vermögen man zu welcher Vermögensschicht, wie der oberen Hälfte oder den Top 1%, gehört. Durch die Neubewertung der Vermögen haben sich diese Grenzen deutlich nach oben verschoben.
Grundlage ist die Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamtes. Diese wurde entsprechend den Neubewertungen von Betriebs- und Immobilienvermögen korrigiert. Und daraus ergeben sich neue Grenzwerte.
EVS | Laut Studie | |
---|---|---|
Mitte | 46.126€ | 129.697€ |
Top 10% | 444.589€ | 946.431€ |
Top 5% | 647.081€ | 1,5 Mio.€ |
Top 1% | 1,3 Mio.€ | 4 Mio.€ |
Top 0,1% | 2,9 Mio.€ | 8 Mio.€ |
Top 0,01% | 5,5 Mio.€ | 90 Mio.€ |
So gehört man entsprechend der neuen Vermögensverteilung nicht mehr schon ab einem Vermögen von 46.126€ zu der vermögenderen Hälfte, sondern erst ab knapp 130.000€. Auch die Grenze, zu den vermögendsten 1% der Bevölkerung zu gehören, hat sich von 1,3 Mio.€ auf 4 Mio.€ Vermögen erhöht.
Wodurch sind die Leute reicher geworden?
Wie bereits erwähnt, ist das Vermögen der oberen Hälfte der Vermögenden in Deutschland gestiegen, während dieses der unteren Hälfte stagnierte. Welche Faktoren haben diesen Menschen den Vermögenszuwachs beschert?
Hier ist eine getrennte Betrachtung seit 1993 und ab 2008 interessant. Denn seit 2008 sind die Immobilienpreise außerordentlich gestiegen und haben einen hohen Anteil am Vermögenszuwachs.
Die gute Nachricht für alle, die jeden Tag einen Teil ihres Einkommens zur Seite legen und ansparen: Der größte Teil des Vermögenszuwachses seit 1993 kommt durch Sparen. Einzig unter den Top 1% der Vermögenden hat Betriebsvermögen auch einen signifikanten Anteil am gestiegenen Vermögen.
Da also die Hälfte der Bevölkerung zu einem großen Teil durch Sparen reicher geworden ist, stellt sich die Frage, wieso dies bei der unteren Hälfte nicht der Fall war. Ein Teil der Antwort liegt bei der Sparquote.
Welche Sparquoten haben die Deutschen?
Verglichen mit Frankreich, Spanien und den USA sind die Deutschen Weltmeister im Sparen. Doch dies ist nicht in allen Teilen der Bevölkerung der Fall.
Wie die obige Grafik zeigt, hat die untere Hälfte der Vermögenden so gut wie keine Sparquote. Die obere Mittelschicht hingegen kommt auf etwa 10%, während die vermögendsten 10% Sparquoten von über 30% erzielen.
Dies erklärt auch, weshalb es der unteren Vermögenshälfte nicht gelungen ist, ihr Vermögen zu steigern. Auch die Verfasser der Studie weisen auf diesen Umstand hin und problematisieren, dass die Ungleichheit der Sparquoten über verschiedene Vermögensschichten hinweg zu einer stärkeren Ungleichverteilung der Vermögen führt.
Kommentare (1)
P
Pascal
sagt am 17. September 2022
Danke für die Übersicht der Studie. Es wurden Vermögen bis 2018 ausgewertet. Seit 2018 sind 4 Jahre vergangen und in dieser Zeit sind Immobilienpreise und bestimmt auch die Werte der Betriebe gestiegen. Sollten wir daher im Jahre 2022 nochmal pauschal 20% auf die Werte draufschlagen?
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